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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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vornherein klarstellen müssen? Wieso befürchtete er einen solchen Vorwurf, wenn er nicht Dreck am Stecken hatte? Wenn er nicht tatsächlich seinen Vater umgebracht hatte? Es war doch kaum vorstellbar, daß Benito ein Vermögen gemacht hatte, ohne daß sein eigener Sohn etwas davon geahnt haben sollte.
    Langsam ging Curzio die Gasse hinauf und bog oben auf die Piazzetta. Den Scheinwerfer, der die Kirchenfassade anstrahlte, hatte jemand ausgeschaltet. Über dem Pfarrhausdach ballte sich der Nebel zu unförmigen Klumpen, die wie gefroren wirkten. Das mußten die Fahnen sein, die Benito hatte aufhängen lassen. Curzio betrat Ivans Bar. Das Neonlicht kam ihm kälter vor als sonst. Vor einem der Spielautomaten stand Sonia, die jüngere Lucarelli-Tochter, und starrte auf die blinkenden Symbole. Wohl aus Mangel an Kundschaft war Marta Garzone hinter der Theke hervorgekommen. Sie saß neben ihrem Sohn an einem der Tische und strickte. Gigino malte in einem Heft Figuren aus. Curzio setzte sich dazu.
    »Davon hätte ich doch wissen müssen? Ja, das hat Angelo so gesagt. Und?« Marta legte nicht einmal ihr Strickzeug zur Seite. Als Curzio ihr mit vorsichtigen Formulierungen auseinandersetzte, was das seiner Meinung nach zu bedeuten hatte, schüttelte sie nur den Kopf und meinte, daß er Gespenster sehe. Benito sei als alter Mann an Herzversagen gestorben, das stehe doch fest. Niemand könne ewig leben, das müsse man akzeptieren. Was Angelo Sgreccia angehe, sei sie weit davon entfernt, ihn zu verteidigen, aber es genüge doch wohl, sich darüber aufzuregen, daß er nicht einmal ein eindeutig formuliertes Testament anerkenne.
    Wie sollte er auch? Angelo kann doch nicht tatenlos zusehen, wie ihm der Lohn für sein Verbrechen genommenwird, dachte Curzio, aber er sagte nichts. Er wußte, was er wußte, und wenn Marta nicht über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen vermochte, würde er sich halt an andere wenden. Doch wen er am nächsten und übernächsten Tag auch ansprach, seine Tochter Marisa, Donato, die Marcantonis, Vannoni und Antonietta, Milena und Catia, er erlebte immer das gleiche: Niemand nahm seine Theorie ernst. Sie schüttelten den Kopf, lächelten herablassend, empörten sich, und je eifriger Curzio argumentierte, desto weniger wollten sie davon hören. Es war fast, als ob sie sich verabredet hätten, die Wahrheit über Benitos Tod nicht zur Kenntnis zu nehmen.
    Bald fühlte Curzio, daß die unsichtbare Mauer, gegen die er vergeblich ansprach, auf allen Seiten immer höher wuchs und ihn auf einer winzigen Fläche einzuschließen drohte, auf der neben ihm selbst nur noch die Gedanken an seinen ermordeten Freund Platz fanden. Er beschloß, ab sofort den Mund zu halten, jeden Schritt Angelos zu beobachten und allein weiterzuermitteln. Irgendwann würde er andere Ungereimtheiten aufdecken und auf weitere Indizien stoßen, vor denen keiner mehr die Augen verschließen konnte.
    Und vielleicht wäre es auch so gekommen, wenn nicht das mit dem Jungen passiert wäre.

3
Ponente
    Ich würde lügen, wenn ich behauptete, daß mir der schwarze Mann nicht mehr aus dem Kopf ging. Ganz im Gegenteil. Nichts hielt ihn mehr in meinen Gedanken, er wuchs, trat heraus aus meinem Hirn, wurde ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ich glaubte ihn zu sehen, wie er sich in lichtlose Ecken drückte, wie er sich eine schwarze Maske übers Gesicht zog, unter der seine Augen tatsächlich fremd und bedrohlich wirkten. Ich glaubte zu hören, wie er die Messer wetzte.
    Dabei war ich erst so sicher gewesen, daß der Junge ihn erfunden hatte. Von Anfang an hätte ich mich heraushalten sollen, aber nachher ist man immer schlauer. Der Junge hatte mich gerührt, weil er so verloren aussah. Sonst hätte ich ihn gar nicht angesprochen.
    »Was tust du hier?« hatte ich den Jungen gefragt.
    »Ich habe Angst.«
    »Wovor denn?«
    »Vor dem bösen schwarzen Mann.«
    »Du willst dich vor der Schule drücken, was?« Ich erinnerte mich, daß ich als Kind immer Bauchschmerzen vortäuschte, wenn ein Schulsportfest anstand. Ich haßte Sportfeste.
    »Nein, das ist es nicht«, hatte der Junge gesagt.
    »Du würdest gern zur Schule gehen?«
    »Ja.«
    »Ist irgend etwas anderes?«
    Der Junge hatte den Kopf geschüttelt.
    »Aber ein schwarzer Mann ist hinter dir her?«
    Der Junge hatte genickt. Man kann sich alles einreden. Als Kind tat mir tatsächlich der Bauch weh, wenn ich es nur lange genug behauptet hatte. Wahre Koliken glaubte ich zu spüren.
    »Na, dann muß ich dir

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