Die Drachen von Montesecco
zuvor von zwei jungen Männern angeliefert worden, die statt nach seriösen Geldkurieren eher nach Aushilfsfahrern eines großstädtischen Pizzaservice ausgesehen hatten. Sie waren mit einem tuckernden alten Diesel-Mercedes in Montesecco eingerollt. Der Fahrer, ein Blonder mit überlangen Koteletten, der unentwegt Kaugummi kaute, hatte die Koffer aus dem nicht verschlossenen Kofferraum gehievt, sie vor dem Mäuerchen auf den Boden geknallt und war dann die Stufen zu Catia hochgestiegen. Der andere blieb im Wagen sitzen und beauftragte durchs herabgedrehte Fenster Ivans Sohn Gigino, ihm Zigaretten zu holen. Als er erfuhr, daß es seit dreißig Jahren keinen Laden mehr in Montesecco gab, geschweige denn einen Sale e Tabacchi, stieg er doch aus, nahm die Sonnenbrille ab, breitete die Arme aus, legte den Kopf in den Nacken, drehte sich im Kreis, und mit einer Lautstärke, die alles zusammenlaufen ließ, was sich nicht sowieso schon auf der Piazza befand, schrie er: »So sieht also der Arsch der Welt aus!«
Der Blonde wies von oben vage in Richtung der Koffer und beschränkte sich darauf, Catia zu sagen, daß sie ja Bescheid wisse. Dann hüpfte er die Stufen hinab und stieg ins Auto, nicht ohne zuvor seinen ausgelutschten Kaugummi an den Außenspiegel von Angelos Wagen geklebt und einen neuen eingeworfen zu haben. Nach drei Minuten war der Auftritt der beiden vorüber. Sie fuhren ab und ließen nichts als eine blaue Abgaswolke über der Piazza zurück. Und zwei schwarze Koffer.
Endlich ließ Franco die Messingverschlüsse aufschnappen, öffnete den Koffer einen Spalt und blickte hinein. Die anderen traten heran. Franco klappte den Deckel vorsichtig zurück. Da lagen sie. Es sah aus wie im Film. Lauter Einhundert-Euro-Noten, mit weißen Banderolen gebündelt, dicht an dicht geschichtet, bis an die obere Kante der Kofferöffnung.
»Wahnsinn!« sagte Donato.
Zögernd nahm Franco eines der Bündel heraus. Er wog es in der Hand, bog es, ließ die einzelnen Scheine durch die Finger rattern. Es waren schätzungsweise hundert. Das ergab zehntausend Euro pro Bündel! Mit spitzen Fingern zog Lidia einen Schein heraus und hielt ihn gegen das Licht. Auf den ersten Blick sah er echt aus. Marisa Curzio stöberte in der zweiten Lage. Auch weiter unten fanden sich keine Papierschnitzel. Nur Geld, Geld und Geld. Donato griff sich vier Bündel. Zwei davon legte er mit ein wenig Abstand parallel auf die Mauer, die anderen beiden quer darüber. Er fragte: »Wißt ihr, was das ist?«
»Vierzigtausend Euro«, sagte Milena.
»Der neue Toyota Landcruiser. Four by four«, sagte Donato.
»Was?« fragte Lidia.
»Allradantrieb«, sagte Donato. Er legte noch einen Packen Geldscheine darauf und ergänzte: »Mit allen Extras, die du dir vorstellen kannst. Plus Bullbar, zweiter Batterie, zweitem Reserverad und so vielen Zusatztanks, daß du damit ganz Afrika durchqueren kannst, ohne einmal anhalten zu müssen.«
»Was willst du denn in Afrika?« fragte Lidia.
»Was ich …?« Donato brach ab. Er überlegte. Dann grinste er Lidia breit an und sagte: »Missionieren. Den kleinen Negerkindern den wahren Glauben bringen.«
»Damit scherzt man nicht«, sagte Lidia entrüstet.
Um nicht stundenlang beschäftigt zu sein, einigte man sich darauf, ein paar der Bündel durchzuzählen und bei denanderen nur zu kontrollieren, ob sie gleich dick waren. Franco schüttete den Inhalt des Koffers auf die Mauer, Milena Angiolini, die für ihr gutes Kopfrechnen bekannt war, addierte, und argwöhnisch beäugt von Lidia, schichtete Donato die Bündel zurück. Dann zählten sie den Inhalt des zweiten Koffers. Es waren tatsächlich zwei Millionen.
Franco schloß die Koffer sorgfältig und stellte sie an ihren Platz. Er selbst setzte sich daneben auf das Mäuerchen. Auch die anderen zog es nicht nach Hause. Das Mittagessen würde heute ausfallen. Catia fragte in regelmäßigen Abständen nach der Uhrzeit und schlief kurz nach 15 Uhr auf den Treppenstufen ein. Man überlegte, ob man sie in ihr Bett tragen solle, verzichtete aber darauf, um sie nicht aufzuwecken.
Die Koffer standen an der Mauer und warfen immer längere Schatten. Es war, als ob sie die Bewegungsfreiheit der Dorfbewohner einschränkten. Man konnte doch nicht zwei Millionen unbeaufsichtigt auf der Piazza herumstehen lassen! Und vier Augen sahen mehr als zwei, acht sahen mehr als vier. Doch auch wenn das ganze Dorf noch so angestrengt aufpaßte, es passierte nichts. Von selbst liefen die Koffer nicht
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