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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Etwa daß Catia sich zu einem bestimmten Zeitpunkt allein mit einem Moped da und dort einfinden sollte. Der Täter muß also noch einmal mit ihr in Kontakt treten, was zweifellos ein Risiko ist. Wieso nimmt er das auf sich? Der Zettel wirkte so, als habe derTäter ihn in aller Eile geschrieben und gar nicht die Zeit gefunden, sich einen genauen Plan zurechtzulegen. Wenn ich jemanden entführen wollte, würde ich mir allerdings vorher überlegen, wie ich das alles durchziehen könnte. Doch selbst wenn er nur die günstige Gelegenheit am Schopf gepackt hatte, war Minh ja immerhin drei Tage vorher verschwunden. Zeit genug, um sich ein paar Gedanken zu machen. Und da fragte ich mich, wieso der Täter überhaupt zweiundsiebzig Stunden wartete, bis er seine Forderung stellte. Warum nicht früher, warum nicht sofort?«
    »Er mußte vielleicht erst ein Versteck für Minh finden«, sagte Sabrina.
    »Und hat den Jungen drei Tage lang im Kofferraum herumgefahren?« fragte Vannoni. Jetzt, da es ihm darum ging, recht zu haben und sich als der Stärkere zu erweisen, fanden sich wie von selbst die Argumente, machte er sich endlich die Gedanken, auf die er schon längst hätte kommen müssen, statt tagelang blödsinnig durchs Gebüsch zu kriechen. Er fuhr fort: »Nein, so etwas will man schnell erledigen, man will ans Geld, man will die Geisel loswerden und mehr noch die dauernde Anspannung, die Ungewißheit, die Angst, entlarvt zu werden. Es paßte einfach nichts zusammen.«
    »Aber genau so war es«, sagte Sonia.
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte Vannoni. »Nehmen wir doch einfach mal an, Minh wäre weggelaufen, weil er sich vernachlässigt fühlte. Vielleicht versteckte er sich irgendwo oder er machte sich auf den Weg Richtung Vietnam, um seinen Vater zu suchen.«
    »Und die Lösegeldforderung?« fragte Sabrina.
    »Die hat einer geschrieben, der genausowenig wie wir weiß, wo der Junge steckt. Einer, der spontan beschlossen hat, zwei Millionen abzukassieren. Und das schlimme ist, daß wir den Täter auf die Idee gebracht haben, weil jeder nur das Geld aus dem Erbe im Kopf hatte. Franco Marcantoni hat es ausgesprochen, aber wir alle wolltennur zu gern an eine Entführung glauben. Es schien so wahrscheinlich, und es entlastete uns in gewisser Weise. Denn so war ein anderer schuld an Minhs Verschwinden, und wir konnten uns vor der Tatsache davonstehlen, daß ihn zwei Tage lang kein Mensch vermißt hatte. Irgendwer in Montesecco, der all das genau mitbekam, dachte sich: Ihr wollt eine Entführung haben, ich gebe euch eure Entführung! Er setzte sich hin und schrieb den Zettel mit der fürchterlichen dreifachen Morddrohung, die ihm leicht von der Hand ging, weil er sie gar nicht wahr machen konnte.«
    »In dem Fall wäre es ja völlig sinnlos, das Lösegeld zu zahlen«, sagte Sonia.
    »Und es würde bedeuten, daß Minh …«, sagte Antonietta.
    »… immer noch irgendwo allein da draußen ist«, ergänzte Vannoni. Er verkniff sich die Bemerkung, daß er ja nicht zum Spaß ununterbrochen gesucht habe. Sie war nicht mehr nötig. Vannoni hatte eine Theorie entwickelt, die zwar nicht bewiesen war, aber plausibel genug erschien, und die sein eigenes Verhalten als wohlüberlegt rechtfertigte. Jetzt mußte er nur noch die beiden Mädchen dazu bringen, ihre Niederlage einzugestehen. Er bückte sich nach seinen Stiefeln, schnürte sie sorgfältig und fragte: »Hat vielleicht doch jemand von euch Zeit mitzukommen? Sabrina? Sonia?«
    »Aber wo sollen wir denn noch suchen?« fragte Sabrina.
    »Weiter entfernt«, sagte Vannoni. »So weit wie nötig. Wir müssen Leute befragen. Er muß sich irgendwo Essen besorgt haben. Er kann sich nicht in Luft auflösen.«
    »Ich komme mit«, sagte Sonia.
    »Na gut«, sagte Sabrina zögernd.
    Vannoni hätte zufrieden sein können. Er hatte Antoniettas Töchter kleingekriegt. Sie würden nun genau das tun, wofür sie ihn gerade noch belächelt hatten. Doch so wichtig ihm das erschienen war, schmeckte der Erfolgschaler und schaler, kaum daß er ihn errungen hatte. Es war weniger das Gefühl, Minhs Verschwinden für seine eigenen Interessen mißbraucht zu haben. Schließlich hatte er Widersprüche aufgedeckt und Wichtiges herausgefunden. Ihn beschäftigte, daß er nicht früher daraufgekommen war. Als wäre das Schicksal des Jungen nicht bedeutend genug, um ihn zum Denken zu veranlassen. Als könnte sein Hirn nur ordentlich arbeiten, wenn es um das Ich, Ich, Ich ging.
    Sich behaupten.
    Sich

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