Die Drachen von Montesecco
die ach so ehrenwerten Bemühungen der Politiker zunichte zu machen. Eine absolut durchsichtige Schutzbehauptung, die aber unter der geflissentlichen Mithilfe sensationsgieriger Medien immer noch funktioniert und seit Jahrzehnten den immer gleichen Machteliten in Region, Provinz, Kommune ihre Positionen sichert.
So ungefähr lautete das Ergebnis von Catia Vannonis Nachforschungen. Sie hatte Freunde angerufen, die sie wiederum an Freunde weitervermittelt hatten. Je näher sie den Freunden von Freunden kam, die angeblich mit dem Milieu zu tun haben sollten, desto weniger real wurde die Mafia. Jede Vorstellung, der man sich sicher zu sein glaubte, schien sich zu verflüchtigen, ähnlich wie das Sujet eines großformatigen Gemäldes, das sich in wirr anmutenden Pinselstrichen und Farbflächen verliert, wenn man bis auf wenige Zentimeter herantritt.
Catia hatte fast schon aufgegeben, als sie von einer Frau angerufen wurde, die sagte, es sei ihr zu Ohren gekommen, daß Catia dringend einen kurzfristigen Kredit benötige. Zufällig arbeite sie in der Branche und wäre glücklich, helfen zu können. Sie schlug ein Treffen in einem Fischrestaurant zwischen Cattolica und Pesaro vor. Mitder Bemerkung, daß sich jetzt zeige, wem das Leben Minhs wirklich am Herzen liege, zwang Catia sowohl Angelo Sgreccia als auch Ivan Garzone, sie zu begleiten. Sie stiegen in Ivans Fiat Uno und trafen eine knappe Stunde später am Restaurant ein.
Die »Capanna del pescatore« lag direkt an der Kante der Steilküste des Monte San Bartolo. Von der Terrasse blickte man weit übers Meer, das von hier oben völlig glatt und unbewegt wirkte, obwohl eine leichte Brise zu spüren war. Das Blau des Wassers hellte sich zur Horizontlinie hin auf. Zwei, drei Schiffe, die auf offener See auszumachen waren, wirkten wie verlorengegangenes Spielzeug.
»Ich liebe diesen Ort«, sagte eine etwa dreißigjährige Frau, die aus der Tür des Restaurants getreten war. Sie trug ein weißes Sommerkleid und hatte eine Strickjacke über den Schultern hängen.
»Signorina …?« fragte Catia.
Die Signorina lächelte. »Sie müssen Catia Vannoni sein! Ist der Blick von hier nicht bezaubernd?«
»Schon«, sagte Ivan Garzone. Wohl um zu zeigen, daß man einen wie ihn nicht so schnell in die Tasche steckte, fügte er hinzu: »Nur das Essen scheint nichts zu taugen, sonst wäre es hier nicht so gähnend leer.«
»Ich habe mir erlaubt, das ganze Restaurant zu buchen«, sagte die Signorina fast entschuldigend. »Bei geschäftlichen Unterredungen ist es nicht so angenehm, wenn irgendwer am Nachbartisch die Ohren spitzt.«
»Und wo sind Ihre Leibwächter?« fragte Ivan.
»Sind Sie denn so gefährlich, Herr Garzone?« Die Signorina hatte den Ton ihrer Stimme um eine Nuance gesenkt. Auch wenn man genau auf Aussprache und Modulation achtete, war nicht der Hauch eines sizilianischen Dialekts herauszuhören.
»Woher kennen Sie meinen Namen?« fragte Ivan Garzone.
Die Signorina legte den Zeigefinger quer über die Lippen, zwinkerte Ivan zu und sagte: »Sie wollen einer Frau doch nicht beim ersten Rendezvous alle Geheimnisse entreißen? Doch im Ernst, das Essen ist hier ausgezeichnet. Ich würde Ihnen die Meeresfrüchte-Antipasti dringend empfehlen. Was den Fisch angeht …«
»Könnten wir zur Sache kommen?« sagte Catia. Sie fragte sich, was ihr Sohn wohl zu essen bekam. Ob er überhaupt etwas bekam.
»Natürlich.« Die Signorina rückte einen Stuhl zurecht, setzte sich und zog die Strickjacke enger um die Schultern. Es war ein wenig zu frisch, um draußen zu essen, aber die Signorina schien nicht auf den Blick verzichten zu wollen. Sie sagte: »Sie brauchen zwei Millionen?«
»Ja«, antwortete Catia, »und zwar so schnell wie möglich.«
»In gebrauchten, nicht durchgehend numerierten Scheinen, nehme ich an.«
Catia hatte keine Ahnung. Das konnte zumindest nicht verkehrt sein. Sie nickte.
»In zwei Tagen kann ich liefern«, sagte die Signorina.
»Das ist zu spät. Es muß schneller möglich sein«, sagte Catia.
»Haben Sie schon mal versucht, auch nur den hundertsten Teil der Summe bei Ihrer Bank abzuheben?« fragte die Signorina. Sie überlegte. »Vierundzwanzig Stunden. Schneller geht es nicht. Und das kostet extra.«
»Sie tun das nicht aus Nächstenliebe?« fragte Ivan spöttisch.
Die Signorina sah ihn aufmerksam an. Als wäge sie ab, ob er einer ernsthaften Antwort würdig sei. Dann sagte sie: »Nächstenliebe ist das falsche Wort. Mitgefühl wäre besser oder
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