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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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weg, und keiner kam, um sie zu holen. Es meldete sich nicht mal einer, der sie gern haben wollte.
    Es war schon deutlich kühler geworden, als Catia nach über zwei Stunden Schlaf aufwachte. Sie schreckte hoch, brauchte einen Moment, um wieder in die Welt zu finden, in der man einen Sohn gegen zwei schwarze Koffer eintauschte. Milena Angiolini schüttelte den Kopf. Eingedenk des ersten Zettels, der bei den Sgreccias gefunden worden war, hatten sie alle Briefkästen im Dorf überprüft. Keine Nachricht vom Entführer! Hatte er es sich anders überlegt? Hatte er Gewissensbisse bekommen? Jetzt, da das Geld bereitlag? Und wenn es so wäre, warum ließ er dann den Jungen nicht frei? Oder konnte er ihn nicht freilassen, weil er ihm schon längst die Kehle durchgeschnittenhatte? Aber würde er dann nicht trotzdem versuchen, an das Geld zu kommen?
    »Ich habe doch alles getan, was er verlangt hat«, sagte Catia hilflos.
    »Wir können nur warten«, sagte Marisa Curzio.
    Franco bot an, die Koffer bis zum nächsten Morgen sicher aufzubewahren, doch Catia schüttelte den Kopf. Sie wollte das Geld bei sich haben, falls der Entführer noch käme. Milena Angiolini und Marisa Curzio erklärten sich bereit, die Nacht über bei ihr zu bleiben. Sie trugen die Koffer nach oben.
    Die Nacht schickte ihre Kälte voraus, bevor sie selbst über Montesecco kam. Langsam und sorgfältig wusch sie dem Himmel die Farbe aus, warf zwei Handvoll Sterne in das Schwarz und ließ gnädig zu, daß ein riesiger rötlicher Vollmond über San Pietro aufging. Aber nicht deshalb schlief man schlecht und hörte genauer auf die Geräusche in der Dunkelheit. Ein Entführer mochte gerade durch die Gassen schleichen, um irgendwo eine Nachricht zu hinterlassen. Man wußte nicht genau, ob man sich davor fürchten oder darauf hoffen sollte. Und mancher, den die Nacht zwischen unruhigem Schlaf und dämmrigem Wachsein hin und her schob, stellte sich vielleicht auch vor, daß zwei messingfarbene Kofferverschlüsse im Schwarz aufklickten und wie durch Zauberei ein neues Leben herausflattern ließen.
    Doch am nächsten Morgen war alles wie am Tag zuvor. Der Nebel lag in den Tälern, zwei schwarze Koffer standen in Catias Haus herum, Minh blieb verschwunden, der Entführer hatte sich nicht bemerkbar gemacht. Nur war die gesetzte Frist jetzt schon zwanzig Stunden überschritten. Die Frist, nach der der Entführer Minh töten wollte.

4
Ostro
    »Ich will nicht mehr über den schwarzen Mann reden«, sagte der Junge. Glaubte er denn, daß mir das Spaß machte? Aber es half ja alles nichts.
    »Warum nicht? Weil du Angst vor ihm hast?« fragte ich.
    Der Junge antwortete nicht. Irgendwie mußte ich an sein Inneres herankommen, ich mußte wissen, was sich da wirklich tat. Seine Gedanken aufblättern und darin lesen wie in einem Buch. Die Vorstellung gefiel mir. Daß ein Mensch wie ein Roman ist, der rätselhaft und unverständlich erscheint, wenn man aufs Geratewohl eine Seite aufschlägt. Und doch fügt sich irgendwann alles zu einer Geschichte.
    »Was würde der schwarze Mann denn mit dir tun?« fragte ich.
    Der Junge kratzte an seinem Daumen herum. Er zog ein paar Fäden eingetrockneten Klebstoffs ab.
    »Wenn du nicht brav bist«, sagte ich. Ich griff nach seiner Hand.
    »Er würde mir weh tun«, sagte der Junge. Seine Hand war warm.
    »Nur weh tun?«
    »Er würde mich umbringen«, sagte der Junge leise. Ich strich ihm sanft über den Handrücken.
    »Wie?« fragte ich.
    »Ich weiß nicht«, sagte der Junge. Das gefiel mir nicht. Er konnte nicht ewig vor seiner Geschichte davonlaufen. Er mußte sich seinen Ängsten stellen, auch wenn es schmerzte.
    »Was denkst du denn, auf welche Weise er dich umbringen würde?« fragte ich.
    »Vielleicht mit dem Gewehr erschießen?«
    »Glaube ich nicht. Das macht zuviel Krach.«
    »Er würde mich erwürgen.«
    »Mit seinen riesigen Pranken?« fragte ich.
    Der Junge nickte. »Mit denen würde er meinen Hals zudrücken.«
    »Du könntest nicht mal schreien«, sagte ich.
    »Nein.« Der Junge entzog mir seine Hand.
    »Bist du schon mal in der Badewanne untergetaucht und hast so lange die Luft angehalten, bis du gemeint hast, daß dir die Lunge platzt?« fragte ich.
    »Nein.«
    »Das solltest du mal probieren!«
    »Ich will nach Hause«, sagte der Junge. Gleich würde er wieder zu weinen beginnen.
    »Ich tu mein Bestes«, sagte ich, »aber ich frage mich wirklich, ob ich dich auf Dauer vor dem schwarzen Mann schützen kann.«
    Tagelang suchte

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