Die Drachenflotte (German Edition)
schaurigem Anlass, doch ziemlich unheimlich. Überall lauerten Schatten. Zu Wasser wie zu Land waren die Räuber bei Dunkelheit am gefährlichsten. Er musste an den Bullenhai bei seinem letzten Tauchgang denken. Haie hatten einen hervorragend entwickelten Gesichtssinn, aber sie waren nicht auf ihn angewiesen. Sie konnten ihre Beute mit Hilfe ihres außergewöhnlich gut ausgebildeten Geruchssinns aufspüren, über kleinste Schwingungen im Wasser, über Fluktuationen im elektromagnetischen Feld. Sein Rebreather und die anderen Geräte würden in diesem Feld aufflammen wie Feuerwerkskörper.
Er spürte etwas hinter sich, drehte sich um und leuchtete in die Finsternis, aber da war nichts. Der Grund kam in Sicht, von Schluchten durchfurcht, ähnlich wie bei seinem letzten Tauchgang, obwohl das nicht hier in der Nähe gewesen war. Seine Füße berührten Boden und wirbelten smaragdgrüne Lichtspuren auf. Die Strömung war stark, aber das Blei hielt ihn stabil. Er schwamm über Gräben und Schluchten hinweg und hielt dabei aufmerksam Ausschau nach irgendetwas Ungewöhnlichem. Ein Schwarm von Schatten stob auseinander, als er sich ihm näherte, Barracudas, die wie dünne Streifen Silberfolie glitzerten. Er schwamm einen Canyon hinunter, an überhängenden Felsen vorbei, die zu seinen beiden Seiten flache Grotten bildeten. Der Boden war von weißem Sand und toten Korallen bedeckt, gemischt mit riesigen Mengen von Keramik- und Porzellanscherben. Endlich angekommen. Er paddelte weiter vorwärts, erkundete mit seiner Lampe Spalten und Risse. Vor ihm lag, halb im Sand begraben, ein großer Felsbrocken, der nicht nur von Algen und Entenmuscheln überzogen war, sondern auch von einem Geflecht feiner weißer Adern. Als er näher schwamm, erkannte er die Fäden eines Treibnetzes. Knox hasste diese elenden Dinger aus tiefstem Herzen. Sie waren von einer geradezu perversen Hinterhältigkeit, die Maschen gerade so weit, dass die Fische hineinstoßen, aber nicht hindurchschlüpfen konnten. Wenn sie zurückweichen wollten, spreizten sich ihre Kiemen wie Widerhaken an einem Angelhaken, und sie waren gefangen. Er hasste sie aber auch, weil die Trawler sie so oft einfach abschnitten und zurückließen, wenn sie irgendwo hängenblieben. Dann trieben sie in den Strömungen oder legten sich über den Meeresgrund, tödliche Fallen für jeden, der sich in ihnen verfing.
Er bewegte seine Lampe hin und her, konnte aber nichts erkennen als eine dünne Kaskade aus feinem weißem Sand, die sich in einem stetigen Strom zu seiner Rechten ergoss. Dieses gleichmäßige Rieseln war nicht natürlich, es sei denn, hier hatte sich vor kurzem etwas ereignet. Er schwamm etwas nach oben und stieß auf ein klaffendes schwarzes Loch im Felsen, einen Tunnel in die Finsternis. Prüfend blickte er zu dem Felsbrocken hinunter. Mit Sicherheit ließ es sich nicht sagen, aber der Form nach könnte er genau passen. Wenn er einmal diese Öffnung verschlossen hatte und erst vor kurzem herausgebrochen war, so erklärte das den herabströmenden Sand, der ihn jetzt langsam begrub.
Der Tunnel war gerade breit genug, um ihn aufzunehmen. Er folgte ihm, bis er sich unvermittelt zu einer riesigen Unterwasserhöhle öffnete. Das Wasser war hier ungleich stiller und klarer, das Licht seiner Taucherlampe reichte fast bis zur Decke und zur hinteren Wand. Sofort fiel ihm auf, dass die Höhle annähernd die Form und die Größe eines gewaltigen Schiffs hatte, und er hielt es für möglich, dass das kein Zufall war: Er sah es vor sich, das mächtige Schatzschiff, wie es in eine dieser Kalksteinschluchten hinabsank oder vielleicht von den Strömungen hineingestoßen wurde. Bald hätten Sand, Sedimente und Felsgestein es zugedeckt, Korallen wären darauf gewachsen. Und mit dem Absterben einer jeden Generation von Korallen hätten die Kalkskelette einen massigen Panzer um das Schiff gebildet, der alles in seinem Inneren hermetisch abschloss und das Schiff und seine Ladung vor den umgebenden Strömungen schützte. Dennoch hätten das Meer und seine Organismen nicht geruht. Wie die Fäulnis im Inneren eines Zahns hätten sie an den Hölzern und allen anderen Bestandteilen genagt, bis nichts mehr als Mineralien und Metalle übrig geblieben wären.
Er schwamm in die Höhle hinein. Merkwürdige Türme ragten aus dem Sand empor wie Gebäude einer Stadtsilhouette im Kleinformat. Sie entpuppten sich, als er näher paddelte, als mehrere Reihen von Geschirrstapeln. Unendlich vorsichtig ergriff er
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