Die Drachenflotte (German Edition)
eine Schale und wischte den Sand in ihrem Inneren weg. Sie war weiß, mit den Bildern blauer Drachen um den Rand, eines der edelsten Stücke Porzellan, die er je gesehen hatte. Hier lag es vergessen auf einem ganzen Turm ebensolcher Stücke, umgeben von Tausenden seiner Art und vielleicht noch einmal so vieler, die unter dem Sand begraben waren. Sie hatten vermutlich, von schützendem Material umkleidet und in Holzkisten verpackt, im Laderaum geruht. Das Füllmaterial und das Holz waren weggefault, und sie waren in Sand gepackt zurückgeblieben. Aber durch das Herausbrechen des Felsbrockens freigesetzt, löste sich jetzt auch der Sand, zum ersten Mal seit sechshundert Jahren wurden diese Schätze enthüllt.
Die Geschirrtürme schwankten, von den kleinen Wirbeln bewegt, die er erzeugte, als er zwischen ihnen hindurchschwamm, astlose Bäume in einem winterlichen Wind. Er stieß auf die goldene Figur einer Giraffe, nur Kopf und Hals schauten aus dem Sand heraus. Die Chinesen hatten geglaubt, die Giraffen seien sagenhafte Einhörner, wunderbare Glücksbringer. Nun, diese hier war es nicht gewesen. Er schwamm weiter, griff nach einem goldenen, mit Rubinen verzierten Armband, vielleicht Teil der wertvollen Schiffsfracht, vielleicht auch der Schmuck einer bevorzugten Konkubine. Etwas weiter vorn glomm eine große goldene Kugel. Ihr Anblick raubte ihm den Atem. Ein Globus der Welt, wie die Chinesen sie gesehen hatten, die Landmassen in Emaillearbeit aufgetragen: natürlich China selbst, der Archipel der verstreut liegenden Gewürzinseln und dann Australien. Die massigen Keile Indiens und Afrikas. Europa und das Mittelmeer. Er rollte den Globus ein wenig weiter, um, aufgeregt jetzt, den Atlantik freizulegen und das, was auf ihn folgte. Ja, da war Amerika. Die Neue und die Alte Welt zum allerersten Mal in Zusammenschau, und das auf einem Globus.
Er glaubte, Bewegung zu spüren, und fuhr herum. Aber es war nur das leise Schwanken der Porzellantürme. Ihre weiße Blässe und ihre Bewegung muteten wie Geister an, und er erinnerte sich, dass dies nicht nur ein Schiffswrack war, sondern auch ein Grab, die letzte Ruhestätte vielleicht Hunderter von Passagieren und Mannschaftsmitgliedern, denn zweifellos hatten nur wenige sich retten können. Er fühlte sich privilegiert, an diesem Ort sein zu können, und zugleich schuldig, die Toten in ihrer Ruhe zu stören. Es ermahnte ihn, daran zu denken, warum er hier heruntergekommen war. Nicht des Wracks wegen, das würde warten müssen.
Er schwamm durch den Tunnel zurück und durch seine Öffnung hinaus. Der Felsbrocken war der Korken in der Flasche gewesen, die dieses Schiff eingeschlossen hatte. Er war von alten Netzen umspannt und erst vor kurzem herausgebrochen. Natürlich konnte es sein, dass diese Tatsachen nichts mit Emilias Verschwinden zu tun hatten, aber die Umstände deuteten in eine andere Richtung. Ein großer Teil des aus der Höhle gesickerten Sands war von den Strömungen fortgetragen worden, aber es war noch genug auf den Felsbrocken gestürzt, um ihn und alles, was in seiner Nähe lag, teilweise oder ganz zu verschütten.Der nasse Sand war schwer und kompakt, er musste ihn mit dem Arm entfernen. Er hoffte schon, er wäre auf einer falschen Fährte, als er auf etwas Weiches stieß, das unter Druck nachgab. Im ersten Moment riss er unwillkürlich die Hand zurück, dann wappnete er sich und begann zu graben. Seine Finger trafen auf andere Finger, aufgedunsen und kalt. Er fegte Sand weg, bis er eine Hand enthüllt hatte, ein Handgelenk, einen Unterarm. Den Unterarm einer Frau. Es musste Emilia sein. Er machte weiter, bis er ihr Gesicht freigelegt hatte und seine Befürchtungen bestätigt sah. Ihre Haut war verfärbt und aufgerissen, aus dem klaffenden Mund rieselte Sand. Aber sie war es. Ein farbenprächtiger Kaiserfisch schoss vorbei und küsste flüchtig ihren Augapfel. Knox merkte, wie ihm übel wurde, und wandte sich hastig ab. Erbrechen war in dieser Wassertiefe tödlich. Er atmete regelmäßig ein und aus, bis er wieder ruhig geworden war, dann nahm er seine Arbeit zu ihrer Befreiung geduldig wieder auf. Er legte seine Arme um ihren Brustkorb und zog sachte, aber sie rührte sich überhaupt nicht. Tastend fuhr er mit den Händen um sie herum. Seine Fingerspitzen berührten die festen Fäden eines Netzes, er zog sein Tauchermesser und versuchte, sie durchzuschneiden. Aber das Messer verhedderte sich nur im Netz.
Emilia trug keinen Taucheranzug, sondern blaue Shorts
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