Die Drachenflotte (German Edition)
waren. Und während die Wände zwischen den inneren Räumen der Fäulnis anheimfielen, vereinigten sich alle Artefakte aus Metall und Stein zu einem riesigen ungeordneten Haufen, wie Grabbeigaben irgendeines kriegerischen Königs, der in sechzig Meter Meerestiefe unter einem großen Sandhügel begraben worden war.
Knox wurde aus seinen Gedanken gerissen, als abrupt die Tür geöffnet wurde und Dieter Holm in den Besprechungsraum trat. Ohne ein Wort stellte er seine Kiste auf den Tisch und wandte sich dann seinem Laptop zu. Der Mann war klein und schmächtig, hatte das silberweiße Haar mit Gel zurückgekämmt, trug eine Goldrandbrille mit Halbmondgläsern und einen weißen Spitzbart, der vermuten ließ, dass er sich gern als so etwas wie ein diabolisches Genie sah. Er genoss einen hervorragenden Ruf als Meereswissenschaftler, und Knox war sehr gespannt gewesen, ihn kennenzulernen. Doch kaum an Bord der Maritsa angekommen, hatte er sich wie ein Wahnsinniger über seine Unterkunft und den beengten Laborraum aufgeregt. Ganz verübeln konnte Knox es ihm nicht; Ricky hatte ein mit modernster Technik ausgerüstetes Bergungsschiff versprochen, und als solches konnte man die Maritsa beim besten Willen nicht bezeichnen. Dennoch war seine Reaktion, umgehend mit seinem Team noch Morombe zurückzukehren und dort in einer gemieteten Villa seinen Arbeitsplatz aufzuschlagen, ziemlich überzogen gewesen.
Kurz nach Holm erschien auch Ricky in Begleitung von Maddow the Shadow. Knox konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob er draußen gelauert hatte, denn er hatte ein bemerkenswertes Talent dafür, stets als Letzter bei einer Besprechung aufzukreuzen. «Ausgezeichnet», sagte er, während er sich setzte. «Es sind schon alle da. Dann kommen wir doch gleich zur Sache.»
«Wie Sie wollen», erwiderte Holm. Er nahm drei Ordner aus seiner Kiste und schob sie über den glänzend polierten Tisch. «Das ist meine Analyse der letzten Daten», sagte er. «Aber im Wesentlichen kann ich die entscheidenden Befunde in drei Worten zusammenfassen.»
«Ja?», fragte Ricky.
Holms Lächeln wurde schmal, wobei sich ein triumphierender Zug einschlich. «Hier ist nichts», sagte er.
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Kapitel 5
I
R icky hatte die Hände locker im Schoß ineinandergelegt. Als er Holms Urteil hörte, ballte er sie zu Fäusten. «Nichts?», rief er. «Was soll das heißen, hier ist nichts?»
«Genau das, was ich gesagt habe», antwortete Holm. «Hier liegt kein Schiffswrack. Hier hat nie eins gelegen. Und folglich gibt es auch keine verschüttete Fracht.»
«Wie kommen Sie zu dieser Behauptung?», rief Ricky empört. «Was ist dann mit den vielen Artefakten, die wir gefunden haben? Die Kanonen? Die Anker?»
«Weiß der Himmel.» Holm zuckte mit den Schultern. «Vielleicht sind sie bei einem Sturm über Bord gegangen. Vielleicht wurde eines Ihrer chinesischen Schiffe von Piraten bedroht, und die Mannschaft hat das Zeug über Bord geworfen, um Geschwindigkeit zu gewinnen.»
«Blödsinn», sagte Ricky.
«Oder vielleicht hat jemand sie auf dem chinesischen Schwarzmarkt gekauft und dann auf dem Meeresboden verteilt.»
«Wie können Sie es wagen?» Ricky sprang wütend auf. «Wie zum Teufel kommen Sie dazu, so etwas zu sagen?»
«Ich behaupte ja gar nicht, dass Sie es waren.»
«Doch, genau das tun Sie.»
«Was ist mit den Sonaranomalien im Wrackhügel?», fragte Knox.
«Felsformationen», erklärte Holm.
«Aber doch nicht alle », protestierte Ricky.
«Doch, alle», entgegnete Holm. «Ich gebe zu, einige der ursprünglichen Messungen waren höchst verheißungsvoll; aber die neuesten Daten sind unanfechtbar.» Er tippte auf einen der Ordner. «Sehen Sie doch selber nach, wenn Sie mir nicht glauben. Und selbst wenn die Sonarbilder und die Ergebnisse der magnetischen Bildgebung nicht schlüssig wären – was sie aber sind –, unsere Sedimentanalyse ist es. Wenn hier ein Schatzschiff begraben läge, enthielte der Sand reichlich Spuren von Holz aus dem Rumpf, von Jute und Tungöl aus der Kalfaterung; wir hätten Rostsprenkel von Nägeln, Ankern und anderen Eisenteilen gefunden und Rückstände von Schießpulver. Aber wir haben nichts dergleichen festgestellt. Nicht einen Hauch, jedenfalls nicht in den Proben, die Sie entnommen haben. Keine Spuren, ergo kein Wrack. Was Sie als Wrackhügel bezeichnet haben, ist im Wesentlichen nichts anderes als eine lange, mit Sand bedeckte natürliche Felsenbank.»
Es war so still in der Kabine, dass Knox das
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