Die Drachenflotte (German Edition)
einem der aufgekrempelten Ärmel steckte, der billigen Sonnenbrille mit den verspiegelten Gläsern, die er ins lange braune Haar geschoben trug wie einen Haarreif. Vielleicht spürte er, welchen Eindruck er vermittelte, denn kaum hatte er sich ihr als Zanahary vorgestellt, begann er schon mit hektischer Beflissenheit zu erklären, wieso er hier war. Sein älterer Bruder habe sich beim Sprung vom Dach ihres Hauses den Fuß verstaucht und ihn an seiner statt zum Flughafen geschickt. Er sei ein geübter Fahrer, versicherte er, absolut zuverlässig. Zu müde, um sich aufzuregen, holte Rebecca ihr Gepäck und ging dann dem Jungen voraus, hinaus in die Sonne.
Der Mietwagen, ein blitzender dunkelblauer Mitsubishi-Pick-up mit viel Chrom und vier Scheinwerfern auf dem Dach, schien wenigstens in gutem Zustand zu sein. Das war auch nötig. Sie hatte zunächst noch etwas in Toliara zu erledigen, aber danach erwarteten sie gut drei Stunden Fahrt auf einer Rüttelpiste aus Sand, Schlamm und Felsgestein zum Eden-Naturschutzgebiet im Norden. Sie sah sich die Reifenprofile an und vergewisserte sich, dass hinten Ersatzreifen sowie Kanister mit Benzin, Öl und Wasser lagen. Als sie die Tür auf der Beifahrerseite öffnete, schlug ihr ein Schwall heißer Luft entgegen. Die Ventilatoren der Klimaanlage waren herausgerissen, und das Armaturenbrett war vollgepflastert mit teilweise abgerubbelten Werbestickern und den hässlichen Klebstoffresten, die sie hinterlassen hatten. Es stank nach kaltem Zigarettenrauch, die Aschenbecher quollen über, und über den Sitzen lagen billige Schonbezüge aus Plastik, das sich sofort klebrig an die Haut ihrer Beine heftete. Zanahary warf sich lässig hinter das Lenkrad, klopfte eine Zigarette aus seiner Packung und führte sie mit 1950er-Jahre-Allüre, Ellbogen hoch und scharf abgewinkelt, zum Mund, als handelte es sich um ein wertvolles Schmuckstück, das er ihr beiläufig vorführen wollte.
Rebecca schüttelte den Kopf. «Nein.»
«Aber –»
«Nicht im Auto.»
Nach Toliara waren es nur fünfzehn Minuten. Sie hielten vor einem Gemischtwarenladen, nahmen einen Sack Reis und einige andere Vorräte mit, die sie eingeplant hatte, und fuhren dann weiter zur Kanzlei von Delpha, dem langjährigen Anwalt ihres Vaters. Er war während ihrer Kindheit regelmäßig in Eden zu Gast gewesen, hatte immer Tüten voll Süßigkeiten und selbstgeschnitzte Holzpuppen mitgebracht. Sie hatte ihn sehr gerngehabt, aber seitdem waren elf Jahre vergangen, und sie blickte dem Wiedersehen mit einiger Beklemmung entgegen.
Die Empfangssekretärin lächelte nichtssagend, als sie ihren Namen nannte. Monsieur Delpha sei im Augenblick beschäftigt. Wenn Madame Platz nehmen wolle – aber er musste ihre Stimme gehört haben. Noch während die Sekretärin sie vertröstete, öffnete sich die Tür zu seinem Zimmer, und er trat selbst heraus, älter und verbrauchter, als sie ihn in Erinnerung hatte, mit weißem Haar und schwarzen Altersflecken auf der dunkelbraunen Haut.
«Rebecca?» Unsicher blinzelnd blickte er sie im düsteren Flur an. «C’est vraiment toi?»
«Ja», sagte sie. «Ich bin’s.»
Sein Mund begann zu zucken, Tränen schossen ihm in die Augen. Sie hielt ihn eine kleine Weile umarmt, um ihm Zeit zu geben, sich zu fassen. Er trat zurück und trocknete sich die Augen. «Ich dachte schon, du würdest niemals wieder nach Hause kommen.» Dann fiel der Schatten der Bekümmerung auf seine Züge. «Hätte es doch unter anderen Umständen –»
«Ja», sagte Rebecca.
«Wenn ich irgendetwas tun kann …»
«Deswegen bin ich hier.» Sie warf einen Blick auf die Sekretärin, sie wollte dieses Gespräch nicht im Beisein einer Person führen, die ihr fremd war. Er nickte und führte sie in sein Büro, einen behaglichen Raum mit hohen Bücherwänden, der durch die teilweise zugezogenen Vorhänge wie im Dämmerschlaf zu liegen schien. Sie setzte sich, ordnete erst einmal ihre Gedanken.
«Ich brauche Hilfe, ja», sagte sie, «das Dumme ist nur, dass ich nicht weiß, welcher Art. Ich bin zu lange weg gewesen. Ich kenne mich hier nicht mehr aus. Ich meine, wird denn überhaupt richtig gesucht? Wenn nicht, wie kann ich eine Suchaktion anleiern? Mit wem muss ich sprechen? Wem kann ich trauen? Wer muss geschmiert werden? Vielleicht brauche ich ein Boot für die Suche. Wo ist das meines Vaters? Kann ich es einfach nehmen? Und was ist mit Eden? Was ist mit Michel? Und das sind nur die Fragen, von denen ich weiß, dass ich sie stellen
Weitere Kostenlose Bücher