Die Drachenflotte (German Edition)
muss.» Sie zuckte mit den Schultern, um zu zeigen, wie wenig sie sich der ganzen Sache gewachsen fühlte. «Sie sehen also, ich brauche Hilfe.»
Delpha hatte sich Notizen gemacht, während sie sprach. Er sah sie jetzt durch, dann lehnte er sich nickend in seinem Sessel zurück. «Wegen der Suche und der Ermittlungen musst du mit Andriama sprechen. Er ist der Polizeipräsident von Toliara.»
«Kann ich ihm denn trauen?»
Delpha überlegte kurz. «Ich persönlich habe immer gute Erfahrungen mit ihm gemacht. Aber es gibt Gerüchte. Die gibt es hier natürlich immer, verstehst du. Über jeden. Zweifellos auch über mich. Andriama spuckt große Töne, dass er die Korruption in Toliara mit Stumpf und Stiel ausrotten will, aber man merkt nichts davon, nur sein Haus bekommt jedes Jahr ein weiteres Zimmer. Vielleicht liegt diesen Gerüchten nichts als Neid zugrunde oder der Wunsch seiner Feinde, ihm zu schaden. Und Feinde hat er genug. Er hat keine Angst vor den Einflussreichen und Mächtigen.» Delpha warf einen Blick auf seine Notizen, dann sah er wieder auf. «Das Boot deines Vaters wurde auf See treibend von südafrikanischen Seglern gefunden.»
«Ja, das weiß ich von Pierre.»
«Sie berufen sich auf die rechtlichen Bestimmungen für Bergungsfälle. Gemäß der internationalen Regelung können sie einen Lohn in Höhe des halben Schiffswerts beanspruchen. Und es werden noch einige andere Rechnungen zu bezahlen sein, bevor der Hafenmeister die Freigabe des Boots genehmigt. Zoll, Einwanderungsbehörde, Polizei, in der Art. Aber mach dir keine Sorgen. Dein Vater war gegen derartige Eventualitäten versichert. Ich weiß es, ich habe die Verträge gemacht. Aber die Unterlagen liegen alle in Eden. Bring sie mir, dann kann ich sofort die Freigabe veranlassen.»
«Danke.»
Noch einmal sah er in seine Notizen, und sein Gesicht trübte sich, wie um sie wissenzulassen, dass er jetzt ein schwieriges Thema ansprechen musste. «Verzeih mir, wenn ich offen spreche. Ich will nur das Beste, und ich hoffe und bete, dass dein Vater und deine Schwester am Leben sind …»
«Sie sind am Leben», sagte Rebecca.
«… aber du musst auf alle Möglichkeiten vorbereitet sein. Dein Vater würde das erwarten.»
«Ja.»
«Als Anwalt deines Vaters und deiner Schwester darf ich über ihre Angelegenheiten nicht mit dir sprechen, jedenfalls nicht, solange …»
«Ja, das weiß ich», versicherte Rebecca. Gerade wegen dieser Gewissenhaftigkeit hatte ihr Vater sich immer auf Delpha verlassen.
«Aber man kann natürlich über hypothetische Situationen reden. Stell dir einen wohlhabenden Mann vor, der beschließt, sein Vermögen zu gleichen Teilen zwischen seinen Kindern aufzuteilen, die ihn überleben. Nehmen wir an, der eine seiner Söhne, Rupert, ist kinderlos. Der andere, Etienne, hat eine kleine Tochter, die ihn beerben wird, wenn er stirbt. Du folgst mir?»
«Ja.» Rupert war eindeutig Rebecca, sie selbst, Etienne stand für Emilia.
«Gut. Jetzt stell dir zwei unterschiedliche Szenarien vor. Im ersten stirbt der Vater. Sein Vermögen wird zwischen Rupert und Etienne aufgeteilt. Wenige Tage später stirbt Etienne. Die gesetzliche Lage ist klar: Etiennes Anteil am Vermögen seines Vaters geht auf seine Tochter über. Im zweiten Fall stirbt Etienne entweder vor seinem Vater oder zur gleichen Zeit mit ihm, dann geht das gesamte Vermögen automatisch an Rupert über, den einzigen überlebenden Sohn, und Etiennes Tochter erbt nichts.»
Rebecca runzelte die Stirn. Das hörte sich beinahe an, als wollte Delpha ihr zeigen, wie sie Michel um sein rechtmäßiges Erbe bringen könnte. Aber sie kannte ihn zu gut, um das zu glauben. «Worauf wollen Sie hinaus?», fragte sie.
«Ich skizziere nur eine rechtliche Sachlage», sagte er. «Nach madagassischem Gesetz wird das Erbe eines Kindes, das zu jung ist, um das Erbe anzutreten, der treuhänderischen Verwaltung seines gesetzlichen Vormunds anvertraut, normalerweise des überlebenden Elternteils.»
«Aha», murmelte Rebecca. «Pierre.»
«Wenn diesem Treuhänder das Wohl des Kindes am Herzen liegt, ist das natürlich kein Problem», fuhr Delpha fort.
«Aber Pierre liegt Michels Wohl nicht am Herzen?»
«Das habe ich nicht gesagt», entgegnete Delpha. «Ich sprach von einer rein hypothetischen Situation.»
Rebecca nickte, zum Zeichen, dass die Botschaft bei ihr angekommen war. «Danke.»
II
Boris hielt sich die Karte vors Gesicht, bis der Mann an ihm vorüber war. Er ging noch ein paar
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