Die Drachenflotte (German Edition)
und ein sicheres Fahrgefühl an. Zu ihrer Linken blieb der Wald zurück und gab den Blick auf die See frei, wo hochbeinige Wattvögel im seichten Wasser stocherten, in das Seegräser dunkle Muster zogen, wie von Gottes Hand gezeichnet. Die Musik endete, Stille hüllte sie ein. Große Schmetterlinge schwebten wie Duftschwaden über die Windschutzscheibe. Ein Spitzkopf-Seidenkuckuck rannte auf der Fahrbahn vor ihnen davon und schlug sich erst im letzten Moment auf die Seite. Die holprige Piste wand sich durch lose aufeinanderfolgende Siedlungen. Fitsitika. Fiserenamasay. Tsifota. Tsiandamba. Die winzigen Weiler ihrer Kindheit waren zu Dörfern herangewachsen, mit Strohhütten und Blechdächern, die von sandgefüllten Fünfzig-Kilo-Reissäcken beschwert waren.
«Was ist das für Lied?»
Rebecca warf Zanahary einen kurzen Blick zu. «Wovon reden Sie?»
«Das Lied, Sie singen. Was für Lied?»
«Ich habe nicht gesungen», entgegnete Rebecca, die sich nicht erinnern konnte, wann sie das letzte Mal in Gegenwart eines anderen gesungen hatte. Doch jetzt, da er es erwähnt hatte, klang ihr wie ein Echo eines der alten Schlaflieder ihrer Mutter in den Ohren, und das machte sie ein wenig unsicher. Sie nahm eine neue Kassette vom Armaturenbrett und legte sie ein.
II
Knox spürte Anzeichen von Blasen an seinen Handflächen, als die erste Bö das Wasser kräuselte. Dann kam ein kräftiger Wind auf, und erleichtert legten sie alle ihre Paddel aus der Hand. Die beiden Piroguiers richteten die Leinen und hissten das Segel, und bald flogen sie so schnell über das Wasser, dass Alphonse auf den Ausleger hinaussteigen musste, um für zusätzliche Stabilität zu sorgen. Mit unerhörtem Gleichgewichtsgefühl balancierte er draußen auf dem schmalen Holzkeil, die Füße von klatschendem Wasser umspült wie ein Wasserskiläufer, während Thierry sich ein Paddel unter den Arm klemmte, das er als Steuerruder einsetzte, und mit den Füßen die Leinen zog.
Knox öffnete eine Flasche Wasser und eine Packung Kekse und reichte beides herum. Lucia baute aus ihren Taschen einen provisorischen Liegestuhl auf dem Boden des Boots, streckte sich darauf aus und döste vor sich hin, ohne sich vom lauten Knarren der Winschen an den Rumpfseiten stören zu lassen. Knox konstruierte sich eine ähnliche Sitzgelegenheit und beobachtete, tief im Boot hockend, Landmarken, die schnell größer wurden und dann zurückblieben. Vor ihnen befanden sich einige Fischerboote mit Schleppnetzen, die in einer immer enger werdenden Spirale, den Windungen einer Seeschnecke ähnlich, kreisten, bevor sie mit ihren Paddeln auf das Wasser schlugen, um die Fische in ihre Netze zu jagen. Möwen hingen über ihm in der Luft, und in weiter Ferne zur Rechten konnte er gerade noch die schwarzen Halbmonde einer Schule spielender Delfine ausmachen.
Er nahm den Ordner mit den Unterlagen zum Eden-Projekt aus seiner Reisetasche, legte ihn auf seinen Schoß und begann die Papiere durchzugehen. So lange Menschen zur See gefahren waren, hatten sie nach Möglichkeiten gesucht, ihre Position zu errechnen. Auf kleineren Strecken reichte eine Kombination aus Landmarken und Richtungshinweisen: Segle einen Tag nach Osten zur Insel Soundso, dann einen Tag nach Süden zu deinem Bestimmungsort. Aber das half wenig, wenn Stürme oder widrige Winde ein Schiff vom Kurs abbrachten. Gesucht wurde eine Methode, um die Position auf See ohne Bezug auf festes Land zu bestimmen.
Der große Gelehrte Eratosthenes aus Alexandria war der Erste gewesen, der die Vorstellung von geographischer Breite und Länge entwickelte. Er teilte die Erde in parallele Breitenkreise wie den Äquator und die Wendekreise ein sowie in Längenkreise, die die Erde von Pol zu Pol umspannten. Die geographische Breite ließ sich, selbst auf offener See, recht einfach berechnen. Man maß den Stand der Sonne an ihrem höchsten Punkt und verglich das Ergebnis mit einer Sonnenstandstabelle für den betreffenden Tag. Doch die geographische Länge erwies sich als harte Nuss. Theoretisch war die Sache einfach genug: Man brauchte nur die Uhrzeit an einem festen Punkt zu wissen und konnte dann alles andere errechnen. Aber auf einem Schiff die genaue Zeit zu messen, war eine ungeheure Herausforderung. Nicht nur die schlingernde Bewegung des Schiffes war dabei ein Hindernis, das überwunden werden musste, sondern auch der wechselnde Luftdruck und die Korrosionswirkung der salzigen Meeresluft. Vor allem aber musste eine Schiffsuhr irgendwie
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