Die Drachenflotte (German Edition)
Samstagabend. Ihr blieben weniger als vierzig Stunden, und morgen war Sonntag, da waren alle Banken und Wechselstuben geschlossen. Es gab überhaupt keine Möglichkeit, bis Montag eine solche Summe in bar zu beschaffen, selbst wenn sie das Geld auf ihrem Konto hätte. Keine Bank würde einer Ausländerin einen solchen Betrag aushändigen, da würden weder Ausweise noch gutes Standing helfen. Es war Wahnsinn. Die Entführer ließen ihr überhaupt keine Chance. Panik stieg wieder auf. Sie musste schnell atmen, um sich zu beruhigen.
Also dann. Sie brauchte Hilfe. Aber von wem? Als Erstes dachte sie an Daniel, aber es war sinnlos zu hoffen, dass er so viel Geld bei sich oder verfügbar hatte. Das Gleiche galt für alle anderen in und um Eden, außer vielleicht für Pierre. Wer kam sonst in Frage? Delpha, der Anwalt ihres Vaters. Bei Anwälten wusste man nie, was sie gebunkert hatten, und selbst wenn er das Geld nicht besaß, so würde er sicherlich über Kontakte verfügen und ihr zur Seite stehen können. Und Mustafa Habib, dieser indische Geschäftsmann, dem sie bei Andriama begegnet war? Er war doch so ungeheuer erpicht darauf gewesen, ihr zu helfen, geschähe ihm nur recht, wenn sie ihn jetzt beim Wort nahm. Sie suchte nach seiner Karte. Ja. Und sein Haus war auf dem Weg nach Toliara. Sie konnte auf der Fahrt zu Delpha bei ihm vorbeischauen.
Eins war sicher: Hier würde sie das Geld nicht auftreiben. Sie holte die Schlüssel des Jeeps, die hinter dem Tresen hingen, und humpelte nach draußen. Die Polsterung des Fahrersitzes war längst herausgerissen und durch zwei kurze Bretter und ein altes Kissen ersetzt worden. Durch ein klaffendes Rostloch im Boden war die nackte Erde zu sehen. Die Windschutzscheibe war verschmiert mit Matsch und toten Fliegen. Adam hielt das Gefährt mit Geduld und Spucke und viel Beten am Laufen. Aber etwas anderes hatte sie nicht. Flüchtig dachte sie dran, Daniel zu bitten, sie zu fahren, aber dann hätte sie ihn einweihen müssen, und die Botschaft war unmissverständlich. Sie ließ sich vorsichtig auf den Sitz hinunter und drehte den Schlüssel. Der Motor röchelte, als wäre die Batterie fast leer, aber als sie das Gaspedal kräftig durchtrat, sprang er an. Sie schaltete die Scheinwerfer ein, in deren Licht die Bäume schwarz hervortraten, fuhr zum Generatoranbau hinüber und zapfte aus dem metallisch schimmernden Behälter Benzin, bis der Tank überfloss.
Dann fuhr sie los.
II
Knox schleppte seine und Rebeccas Taschen von der Yvette zum Strand, als er den Automotor hörte und Scheinwerferlicht bemerkte. Das konnte nur Rebecca sein, obwohl schwer vorstellbar war, wie sie in ihrem Zustand Auto fahren konnte. Fluchend rannte er zur Straße hinauf, um sie abzufangen, aber er kam zu spät. Er kämpfte mit ein paar dornigen Ästen, als sie vorbeirumpelte. Immerhin konnte er kurz ihr Gesicht erkennen, das einen merkwürdigen Ausdruck zeigte, glücklich und angstvoll zugleich, und ihn auf den Gedanken brachte, dass sie von Adam und Emilia gehört hatte.
Er zupfte Dornen aus seinen Kleidern, während er den Strand entlang zur Einfahrt nach Eden ging. Die Haustür stand weit offen, und drinnen flackerte eine Öllampe. Er bemerkte das Häufchen Erbrochenes auf dem Fußboden, ein weiterer Hinweis darauf, dass etwas Ungewöhnliches geschehen war. Vorsichtig stieg er darüber hinweg, holte Schrubber und Eimer und machte sauber. Danach jedoch fühlte er sich irgendwie verloren. Das Haus schien leer ohne Rebecca. Dumpf und leer. So unsinnig und waghalsig ihr Tauchausflug gewesen war, er konnte nicht umhin, den Mut und die Entschlossenheit dahinter zu bewundern, und die Tapferkeit, mit der sie alle Schmerzen hingenommen hatte. Sie war eine Kämpferin, da gab es keinen Zweifel. Er musste plötzlich an Gaille denken und fühlte sich schuldig. Dass solche Gedanken ihn überfielen, kam häufig vor – so viele kleine Dinge erinnerten ihn an sie –, Schuldgefühle waren seltener. Im vergangenen Jahr hatte er sich, von fürsorglichen Kollegen dazu überredet, mehrmals mit Frauen getroffen, aber nicht ein Mal hatte er sich auch nur im Entferntesten schuldig gefühlt, immer nur gelangweilt. Rebecca löste offenbar solche Gefühle in ihm aus. Über den Grund dafür wollte er lieber nicht allzu genau nachdenken.
Er ging ins Freie hinaus. Es bedrückte ihn, hier zu sein und nichts tun zu können Als ließe er nicht nur die Kirkpatricks im Stich, sondern ebenso Miles und seine Kollegen von MGS. Er schaltete
Weitere Kostenlose Bücher