Die Drachenflotte (German Edition)
von Dutzenden Silberreales gezeigt, die sie von dem Riff vor ihrer Haustür geborgen hatten. Durchaus plausibel in Anbetracht der Legende vom versunkenen Silberschatz der Winterton . Aber was, wenn sie tatsächlich etwas ganz anderes gefunden hatten? Was, wenn das der Grund war, weshalb das Buch über die Winterton für alle Welt sichtbar im Regal stand, während das andere über die chinesischen Schatzflotten nirgends zu entdecken war? Diese Armadas waren gewaltig gewesen, und die Straße von Mosambik war berüchtigt dafür, dass sie immer wieder von verheerenden Zyklonen heimgesucht wurde. Wenn ein solcher Sturm eines der Schiffe auf die Riffe geschleudert haben konnte, warum nicht auch zwei?
Er schüttelte den Kopf. Absurd, so viel von einer einzigen kleinen Scherbe abzuleiten. Weshalb hätte Emilia lügen sollen? Wenn sie und ihr Vater hier ein chinesisches Schiff entdeckt hätten, hätte sie es ihm doch erzählt. Hätte sie das wirklich getan? Ihre erste Sorge war von Anfang an Geheimhaltung gewesen, weil sie befürchtet hatte, Schatzjäger könnten von dem Wrack erfahren und den Korallen mit Dynamit zu Leibe rücken. Emilia hatte gewusst, dass MGS mit Ricky Cheung zusammenarbeitete. Sie und ihr Vater hatten überhaupt nur durch den Reklamerummel, den er um sein Bergungsprojekt in Morombe veranstaltet hatte, von MGS gehört. Vielleicht hatte sie gefürchtet, dass sie Ricky von dieser neuen Entdeckung berichten würden und er die Neuigkeit in die Welt hinausposaunen und damit praktisch die Jagd auf die Riffe vor Eden eröffnen würde. Warum aber dann überhaupt mit MGS zusammenarbeiten? Warum nicht einfach zur Konkurrenz gehen? Nun, die Bergung versunkener Schiffe war immens kostspielig. Adam und Emilia hatten geplant, dieses Projekt aus eigener Tasche zu finanzieren, um die Kontrolle darüber zu behalten. Es hatte sich angeboten, mit MGS zu arbeiten, weil die Firma ohnehin günstige Preise anbot, vor allem aber weil ihre Taucher und ihr Gerät bereits vor Ort waren, was eine Menge an Flug- und Frachtkosten sparte, und weil es bei einem solchen Bergungsunternehmen Hunderte von Mannstunden kostete, die Geschichte des Schiffes, seiner Materialien und Fracht zu studieren. Diese ganze Arbeit war bereits von Knox und seinen Kollegen geleistet worden.
Draußen schrie eine Eule. Irgendwo raschelte etwas. Er musste an Emilia denken, wie sie Miles und Frank am Verhandlungstisch gegenübergesessen hatte, von beschränkten Mitteln gesprochen und betont hatte, welch ungeheures Prestige die Bergung der Winterton für die Firma bedeuten würde. Frank hatte mit einem Achselzucken gemeint, so eine Riesensache sei das nun auch wieder nicht, jedenfalls nicht im Vergleich zu einem Schatzschiff. Und Knox hatte ihr Lächeln bemerkt, so ein stilles, wissendes Lächeln, das er nicht verstanden hatte.
Bis jetzt.
II
Rebecca schaute noch einmal auf Mustafa Habibs Karte, um sich zu vergewissern, dass sie an der richtigen Adresse war. Sie hatte ihn für einen gewöhnlichen Geschäftsmann gehalten, aber er residierte auf einem weitläufigen Anwesen direkt am Wasser. Die Umfriedungsmauer war mit Glasscherben gekrönt, und zu beiden Seiten des hohen Eisentors summten Videokameras. Ein junger Mann in Khakiuniform trat aus einem Pförtnerhäuschen, zündete sich an seiner fast aufgerauchten Zigarette eine neue an, warf die Kippe weg und trat sie in den Staub.
«Ja?», fragte er.
«Ich bin Rebecca Kirkpatrick», sagte sie. «Ich möchte zu Mustafa Habib.»
«Erwartet er Sie?»
Sie zeigte ihm die Karte. «Er weiß, worum es sich handelt.»
Er schlurfte ins Pförtnerhäuschen zurück. Eine Minute später öffnete sich lautlos das Tor, und er winkte sie durch. Sie fuhr an Nebengebäuden vorbei eine gewundene, mit Muschelsplittern bestreute Einfahrt hinauf zu einem weißen Landhaus. Es wurde von Scheinwerfern angestrahlt, das Dach strotzte vor Satellitenschüsseln, Antennen und Masten. Rechts und links des repräsentativen zweiflügeligen Portals standen zwei uniformierte Wachen, ihre Kalaschnikows lehnten hinter ihnen an der Wand. Sie parkte in der Nähe eines Marmorbrunnens und stieg nicht ohne Schmerzen aus.
Die Wachen zogen das Portal auf, und Mustafa trat heraus. Er hielt ein Telefon ans Ohr gedrückt und wurde von einer jungen Frau in prachtvoller Seide begleitet. Strahlend lachte er Rebecca entgegen, als er leichtfüßig die Marmortreppe hinunterlief, verzog beim Anblick ihrer Verbände mitfühlend das Gesicht, versagte sich jedoch
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