Die Drachenflotte (German Edition)
Rücken über sie lustig zu machen.
Rebecca gehörte nicht zu den Menschen, die leicht aufgaben; sie hätte mit der Zeit aus ihrem Jammertal herausgefunden. Aber gerade als sie am Tiefpunkt angelangt war, passierte noch etwas. Es wurzelte in einem Ereignis in den unglücklichen Jahren nach dem Tod ihrer Mutter, als Rebecca bei den einheimischen madagassischen Jungen Trost gesucht hatte. Kurz vor ihrem sechzehnten Geburtstag hatte sie gemerkt, dass sie schwanger war. Der Vater war höchstwahrscheinlich Jean-Luc, der das aber wütend geleugnet hatte und sogar bestritt, überhaupt mit ihr geschlafen zu haben. Immerhin aber war seine Angst, ihr Vater könnte alles erfahren, so groß gewesen, dass er sie zu einer alten Sakalava-Zauberin außerhalb von Toliara gebracht hatte. Bei ihrer Untersuchung im Licht einer Kerze hatte die Frau heißes Wachs auf Rebeccas Schenkel vergossen. Sie hatte ein weißes Pulver mit Wasser in einem schmutzigen Glas zu einem Trank verrührt, der so bitter schmeckte, dass Rebecca sich die Nase zuhalten musste, als sie das Gebräu hinunterwürgte. Aber noch in derselben Nacht hatte sie unter qualvollen Schmerzen einen Abgang gehabt.
Bei einer Busfahrt am Ende ihres ersten Semesters in Oxford nahm Rebecca, nur um etwas zu lesen zu haben, eine liegengelassene Zeitschrift zur Hand und stieß auf einen Artikel über Frauen, die infolge verpfuschter Abtreibungen nie wieder Kinder bekommen konnten. Sie hatte versucht, die Gedanken daran zu verdrängen, aber es war ihr nicht gelungen. Sie musste Gewissheit haben. Einige der Frauen, von denen berichtet wurde, schienen die Folgen gleichgültig zu lassen, als wären sie ohne Bedeutung für ihre Lebensplanung, aber Rebecca hatte sich immer Kinder gewünscht. Ein heftiger Brechreiz würgte sie bei der plötzlichen Erinnerung an den bitteren Wermuttrank, und sie krümmte sich vor Krämpfen, die so stark waren, dass sie auf dem Boden des Busses zusammenbrach. Einer der Fahrgäste alarmierte den Fahrer. Im Krankenhaus vertraute sie sich in ihrer Not, die an Verzweiflung grenzte, einer Schwester mit großen mitfühlenden Augen an, die daraufhin einen Gynäkologen rief. Als sie hörte, dass sie wahrscheinlich niemals Kinder bekommen würde, stürzte sie in einen Abgrund. Inzwischen hatten die Weihnachtsferien begonnen, sie verkroch sich in ihr Bett und stand vierzehn Tage lang kaum noch auf. Sie fühlte sich ausgehöhlt. Was für ein passendes Wort. In ihr war nichts als Leere, und sie brauchte etwas, um die Leere aufzufüllen. Sie brauchte etwas Greifbares. Ihre Zimmerwirtin, eine gutmütige Witwe, die irgendwo aus der Karibik stammte, stellte ihr einen tragbaren Schwarz-Weiß-Fernseher ans Bett. Sie sah sich eine Sendung nach der anderen an, während sie ständig an der Zimmerantenne herumfummelte, um besseren Empfang zu bekommen. Es war ein Schutz gegen das Denken. Und langsam, während sie Tag für Tag auf den Bildschirm starrte, erkannte sie etwas, was für jeden in England selbstverständlich, ihr selbst aber bis dahin fremd gewesen war. Sie erkannte, wie wunderbar es war, prominent zu sein, wie viel Respekt einem entgegengebracht wurde, wie viele Türen sich öffneten, welchen Schutz Prominenz bot. Und ohne weiteres hatte der Ehrgeiz, eine Fernsehkarriere zu machen –
«Salaam, Rebecca.»
Erstaunt blickte sie auf. An ihrem Tisch stand, locker auf den Füßen wippend, ein Mann und sah freundlich lächelnd zu ihr hinunter. Ohne seine Uniform erkannte sie ihn nicht gleich: Andriama, der Polizeipräsident von Toliara. Einen Moment lang starrte sie ihn entsetzt an. Jeden Augenblick würde Mustafa mit dem Geld kommen, und die Entführer hätten sich eigentlich schon gemeldet haben müssen. Wenn einer von ihnen sie hier im Gespräch mit diesem Mann sah, war jede Chance, Adam und Emilia lebend wiederzusehen, dahin.
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Kapitel 33
I
A m Fuß der Treppe fand sich Knox in einem großen Raum wieder, etwa vom gleichen Grundriss wie das Bootshaus oben und immerhin so hoch, dass er die Decke nur mit Mühe mit den Fingerspitzen erreichen konnte. Ungeheuer erleichtert sah er, dass nichts Schlimmes auf ihn wartete. Im Gegenteil, es war ziemlich langweilig hier unten. Am hinteren Ende standen ein Entfeuchter und eine Klimaanlage. An der Wand direkt neben der Tür war eine Metallstellage angebracht, an der gegenüber ein Bücherregal aus Holz, und durch die Mitte führte eine Reihe von Arbeitstischen mit Elektroanschlüssen für Computer und andere
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