Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
seinem Bart knabberte. Noch hielt er die Hand schützend über den Vogel, dann reckte er den Arm in die Höhe.
» Oh, oh«, stöhnte Borlin. » Die sehen wir nie wieder.«
Die Affendrossel öffnete die Flügel, flötete glücklich und stieg steil nach oben. Sie sahen das Tier wie einen grauen Stein im Nebel verschwinden.
» Ich hab’s doch gesagt«, meinte Borlin.
» Drossel!«, rief Lireck. Er strahlte die anderen siegessicher an. » Die kommt schon wieder.« Noch einmal rief er laut: » Drossel!«
» Da!« Roban zeigte nach oben, wo sich etwas Dunkles aus der Wolkendecke heraushob.
Es war viel zu groß für einen kleinen Singvogel. Gebannt starrten alle nach oben, wo sich ein gewaltiges Tier aus dem Grau herausschälte. Dunkel, fast schwarz. Ein Leib, größer als ein Haus.
» Nein«, flüsterte Dorago. » Nein, das …«
Der blaugrüne Leib des Drachen kam noch tiefer herab, dann bog er den Kopf zu ihnen herunter, öffnete den Rachen, und ein Feuerschwall schoss heraus.
» Weg hier!«, schrie Linn. Sie packte Borlin, der ihr am nächsten stand, am Arm und zog den alten Mann vom Hof. » Lauft! Lauft!«
Der Balkon ging in Flammen auf, der Schwanz des Drachen peitschte das Dach weg. Es regnete Ziegel und Steine.
» Lauft!«
Der Schrei pflanzte sich fort wie ein Sturm.
» Drachen! Lauft! Lauft!«
Linn schubste den Alten ins Innere des Hauses, gerade als das halbe Dach in den Hof stürzte. Der blaugrüne Drache segelte über sie hinweg. Hinter ihm flogen zwei andere über den Hof, der eine gelblich, der andere schlammbraun.
» Lauft!«, rief sie den Alten zu, die hastig übereinanderstolperten. » Lauft, so weit weg von hier wie nur möglich! – Agga!«, schrie sie. » Bring Bher und Mora hier weg!«
Von dem Dienstmädchen keine Spur. Linn hetzte die Treppe hoch in den zweiten Stock. Der Balkon war weggebrochen, sodass sie nur mit einem gewaltigen Sprung das Schlafzimmer der Hausherren erreichte. Was vom Dach übrig geblieben war, brannte bereits lichterloh.
» Bher! Mora!«
Innen war die Luft von stickigem Rauch erfüllt. Hustend bemühte Mora sich, Bher zum Ausgang zu ziehen. Linn wollte mithelfen, doch ihr Meister wehrte ab.
» Bring dich in Sicherheit, Linnia.«
» Nein! Gleich bricht hier alles zusammen!«
Das Rauschen gewaltiger Flügel übertönte das Knistern des Feuers. Sie hatten kaum die Tür erreicht, als eine Schwinge die Mauer neben ihnen wegriss. Der Boden gab unter ihnen nach, und in einer Lawine von Holz und Geröll stürzten sie in die Tiefe.
Es war zum Glück nur ein Stockwerk. Fluchend kämpfte Linn sich aus dem Trümmerfeld heraus. Alles tat ihr weh, aber wenigstens schien nichts gebrochen.
» Mora?«
Bher hielt seine Frau im Arm. » Flieh«, schrie er. » Kümmere dich nicht um mich!«
Moras kleine Gestalt hing welk in seiner Umarmung.
» Rette wenigstens dich!«, rief Bher verzweifelt.
» Fliehen? Wohin?« Linn begann hysterisch zu lachen. » Sie wollen mich. Nur mich!«
Sie eilte in den Flur, wo an der Wand ihr Schwert hing. Daneben die Dornlanze. Das Mädchen packte beides und rannte zurück in den Hof, wo der Drache gerade einen neuen Angriff flog. Linn warf die Lanze zur Seite und hielt ihm das Schwert entgegen. » Stirb, du Untier!«, brüllte sie.
Er fuhr auf sie herab, das Maul aufgerissen, und sie starrte auf die glühende Kugel in seinem Rachen. Doch da schwenkte er plötzlich herum. Bher, auf den Knien, eine tiefe Schramme über dem Gesicht, Staub im wirren Haar, hatte die Dornlanze in den peitschenden Schwanz gehakt und hielt sich daran fest.
» Nein!«, rief Linn. » Hier bin ich! Hier!«
Das Feuer hüllte die Gestalt ihres Lehrers ein. Er lächelte, während sie schrie, und absurderweise dachte sie: Schon wieder gewinnt er unser Schweigeduell. Im Feuer, blau schimmernd, wie eine Hülle aus Glanz und Unsterblichkeit. Dann war er fort.
» Nein!«, rief sie. » Oh nein, nein!«
Aus den Wolken erklang ein Schrei, laut und herrisch, ein Fauchen, das über sie hinwegfegte wie ein Feuersturm und sie rückwärts zwischen die Trümmer warf. Der blaugrüne Drache riss den Kopf hoch und antwortete. Er breitete die Flügel aus. Glas zersplitterte, als er hochstieg und in der Wolke verschwand.
» Komm zurück!«, schrie Linn. » Komm zurück, ich zeig’s dir!«
Irgendwo in der Nähe zerbarst ein Haus. Linn hörte den unglaublichen Lärm, und aus den zerbrochenen Fenstern vor ihr leckten Feuerzungen. Das alles war ihr egal. Sie kroch über die Trümmer, zu
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