Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
Mora.
Die alte Frau wirkte winzig, wie sie zwischen den grauen Steinen lag, eine zerbrochene Puppe. Doch ihre Augenlider flatterten, als das Mädchen sich über sie beugte.
» Linnia«, flüsterte sie. » Wo ist Bher?«
Sie konnte nicht darauf antworten. Das war Antwort genug.
» Nein«, wisperte Mora und wurde noch kleiner.
» Ich habe ihn im Licht gesehen«, sagte Linn. » Im blauen Licht des Drachen …«
Ich dagegen bin entkommen. Schon wieder entkommen.
Die Ungeheuer waren noch ganz in der Nähe. Fensterscheiben barsten, Mauern stürzten ein. Es regnete Steine und Dachziegel, und dazwischen, endlich, hörte sie den Hufschlag von Streitrössern. Die Drachengarde. Linn sah Reiter vorbeipreschen und wunderte sich einen Moment lang darüber, dass sie vom Hof aus die Straße sehen konnte. Dann erst wurde ihr bewusst, dass das halbe Haus verschwunden war.
Das alles ging sie nichts an.
Etwas Dunkelrotes zog über sie hinweg wie eine Wolke aus Feuer und verschwand im Rauch. Sie erhaschte nur einen kurzen Blick darauf, und doch war ihr, als reichte es, um sie innerlich zu verbrennen. Eine Woge aus Hass und Zorn, gepaart mit tiefer Trauer, überwältigte sie.
» Das ist der Anführer«, flüsterte sie. » Sie sind meinetwegen gekommen. Allein meinetwegen. Ich hätte euch beschützen sollen, stattdessen hat Bher mich beschützt.«
Der Rauch wurde dicker und dunkler. Irgendwie fand sie die Kraft aufzustehen, Mora wie ein Kind auf dem Arm, und taumelte schwankend über die Trümmer.
Der ganze Straßenzug war verwüstet. Durch den Rauch liefen brennende Gestalten.
Ein Reiter preschte an ihr vorüber. Es war Okanion; er erkannte sie und zügelte sein Pferd.
» Drachen in der Stadt!«, rief er. » Wir müssen sie vertreiben!«
Linn sank in die Knie. Obwohl Mora so leicht war, konnte sie die Frau nicht länger festhalten.
Sie sind meinetwegen hier. Meinetwegen! All das geschieht meinetwegen, denn der Name Harlon ist ein Fluch, der mich in den Staub zwingt!
Sein Blick wanderte von ihrem rußgeschwärzten Gesicht zu der Verletzten in ihrem Arm.
» Wir verjagen sie«, versprach er. » Wir werden diese Ungeheuer vor uns hertreiben, und wenn wir sie bis ans Ende der Welt verfolgen müssen, wir kriegen sie.«
» Es sind vier«, sagte Linn. » Ein blaugrüner, ein brauner und ein hellgelber, fast weißer. Und«, fügte sie leiser hinzu, » ein roter, aber der gehört mir, denn er hat meinen Vater getötet. Den lasst für mich.«
Okanion schüttelte den Kopf. » Ich kann Euch nicht erlauben mitzukommen, Fräulein Linnia. In der Tat sind wir so schnell hier gewesen, weil Prinz Arian die Wache losgeschickt hat, um Euch zu verhaften. Ein paar von uns Jägern haben die Wächter begleitet; sie fürchteten Eure Schwertkunst.«
» Mich … verhaften?«
Der Schmuck, dachte sie. Sie haben es rausbekommen. Nicht nur die Tochter des Verräters, eine Verbannte, sondern auch noch eine Diebin.
Ihr Mut sank. Das Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen.
» Ich habe keine Zeit, mich um Eure Festnahme zu kümmern«, sagte Okanion. » Die Drachen sind jetzt wichtiger. Nutzt die Gelegenheit – ganz wie Ihr wollt.«
Er ritt weiter, und Linn hielt Mora in ihren Armen und fühlte sich vernichtet.
Die Treppe war freigelegt. Die Zimmer der alten Männer waren ebenso verschwunden wie ihr eigenes. Das blaue Tor existierte nur noch zur Hälfte, ein halber Bogen, der hoch über der Straße endete. Wie eine Schlafwandlerin taumelte sie vorwärts, zu Nivals Haus, das erstaunlicherweise immer noch stand. Ein tiefes Loch in der Außenmauer gab den Blick auf seine Zimmertür frei. Linn stieg durch den geborstenen Eingang. Behutsam legte sie die Bewusstlose aufs Bett.
Sie hatte keine Hemmungen, hinaufzugehen und die Salbentöpfe aus seinem Zimmer zu holen. Ordentlich stand jedes Gefäß auf seinem Platz im Regal. Ein Raum, völlig unberührt von der Zerstörung ringsumher. Linn sah sich darin um und atmete tief ein. Wenigstens musste sie sich um Nival keine Sorgen machen. Er war im Schloss und schrieb irgendetwas, in seiner schönen, ordentlichen Handschrift …
Sie blinzelte die Tränen weg und erblickte durchs Fenster eine vertraute Gestalt draußen auf der Straße, die vorsichtig über die schwelenden Balken stieg.
» Nival!«
Sie rannte die Treppe hinunter, nach draußen, über die Trümmer. » Nival!«
» Linnia!« Da stand er, mit rußgeschwärztem Haar und wilden Augen. » Barradas sei Dank! Du lebst!«
Er flog auf sie zu und
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