Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
schrecklich. Es war bloß mächtig. Nicht menschlich und nicht tierisch, sondern etwas, das in keine Kategorie passte und alle ihre Sinne sprengte – so als würde es Sonnen regnen statt Wassertropfen. Der eine war braun wie Baumrinde – das war der Drache, den sie seit Jahren suchte. Ein anderer glänzte in einem so tiefen rötlichen Blau, dass er nahezu Violett wirkte. Auch Gah Ran war da – flammendes Rot ließ die Luft erzittern und die Bäume zur Seite knicken. Flügel rauschten. Glühende Blätter flogen durch die Luft. Gebrüll und Geschrei – Drachen? Menschen? Nichts war mehr deutlich, nichts ließ sich auseinanderhalten, Staunen und Entsetzen waren eins. Doch den Drachen, der plötzlich über ihr war, kannte sie, und das riss Linn mit einem Ruck aus ihrer Benommenheit.
Diesem bronzefarbenen Drachen hatte sie die Schuppe an ihrem Schwert geraubt.
» Du!«, schrie er, aber sein Schrei hatte nichts Menschliches an sich, er klang wie eine straff gespannte Saite, wie ein aus dem Takt geratenes Lied.
Linn blinzelte, immer noch brachten diese neuartigen Wahrnehmungen sie völlig durcheinander. Doch die Gefahr war real und nah, und sie war schon lange genug Drachenjägerin, um rein instinktiv zu reagieren. Während die Lichtung in einem Sturm aus Feuer, Glanz und ohrenbetäubendem Gebrüll unterging, schwang sie das Schwert, als sei es die Verlängerung ihres Arms. Sie wehrte den ersten Drachen ab, der immer noch hinter ihr lauerte, sprang dem bronzefarbenen entgegen, während über ihr Schwingen rauschten, Blut spritzte, Knäuel von Flügeln und Zähnen durch die Nacht taumelten, und als sie zustach, wusste sie mit erstaunlicher Klarheit, dass sie hiermit ihre einzige Waffe aufgab. Sobald dieser Drache tot war, konnte sie ihr Schwert nicht mehr benutzen.
Sie hatte jedoch keine Wahl; der Kampf legte ihr seine eigenen Regeln auf, und es gab kein Entkommen. Aus den Augenwinkeln erhaschte sie einen Blick auf einen der Ritter, der sich gegen den violetten Drachen zur Wehr setzte. Wer immer es war, er stand noch aufrecht.
Linn schlug eine Schneise durch die Macht ihres Feindes, riss eine Bresche in seine Verteidigung, durchschritt sein Feuer wie in einem Traum und holte aus zum letzten Schlag.
Der Tod sah anders aus als jemals zuvor, wie das Erlöschen eines Feuers, das Verdunkeln eines Sterns, und trotz des Lärms, den die übrigen Drachen machten, war Linn in einer Blase aus Stille gefangen. Der Glanz der Schuppe an ihrem Schwert flackerte und erlosch, und eine Trauer überkam sie, die sie in die Knie zwang. Sie fiel und umklammerte die nutzlos gewordene Waffe, und als sich der nächste Drache auf sie werfen wollte, schien ihr dies nur gerecht. Jemand musste sie für das Sakrileg, einen Drachen getötet zu haben, bestrafen – wer, wenn nicht ein anderer Drache?
Doch ihr Angreifer wurde jäh zurückgerissen. Rote Schwingen streiften sie und schleuderten sie fort. Linn stieß schmerzhaft gegen einen Stein, wie sie zunächst glaubte, nur um benommen festzustellen, dass sie gegen einen toten Drachen gefallen war. Blut lief ihr über die Augen. Die ganze Welt schien rot zu sein, doch es war eindeutig Gah Ran, der gegen die anderen Drachen kämpfte. Sie hatte ihn nie von Nahem gesehen, so deutlich. Er war nur wenig größer als die anderen, aber ganz klar überlegen, wie er sie vor sich hertrieb, biss und sie an den Schwingen packte, schnell und wendig wie ein Aal mit Flügeln. Linn wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, um besser sehen zu können. Er war so schön, dass sie nichts anderes wollte, als ihm zuzuschauen, endlos, so lange sie nur konnte … für einen Moment war ihr Hass verschwunden. Sie vergaß die Rache, der sie sich verschrieben hatte, vergaß, dass dieses Ungeheuer ihren Vater getötet hatte … Es war, als würde etwas diesen Drachen herausheben aus allen übrigen, ein besonderer Glanz, eine Macht, die etwas in ihr zum Schwingen brachte.
Dann fiel ihr siedend heiß ein, warum er hier war: weil sie die Kette verloren hatte, und jetzt bemerkte sie, was sie eben noch nicht hatte sehen können. Er kämpfte nicht einfach gegen die anderen.
Er arbeitete sich durch, nach unten hin, in ihre Richtung. Anders, als es ihr eben noch vorgekommen war, vernichtete er nicht ihre Feinde – die Bestien prügelten sich um die Beute, die schreckensstarr zu ihnen hochschaute.
Linn rappelte sich auf. Dort hinten kroch Gunya über den blutgetränkten Waldboden, während der Rote direkt über ihr einen der
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