Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
wollte keine Belohnung – nicht für das hier, für dieses Gemetzel. Nicht für Dorwits Tod. Nicht für den Schrecken und das Feuer. » Sie ist mir egal. Wir müssen nach Hause zurückkehren. Ihr könnt nicht weitermachen, Gunya.«
Nein! Nordwärts. Tijoa. Nach Norden, immer nach Norden, dorthin. Er wartet.
Linn horchte auf die Stimme. Sie schrie von einer Sehnsucht, die ihr zugleich fremd und vertraut war. Nicht Schenn, sondern der Norden. Nicht Brina und nicht Lanhannat, sondern Tijoa. Sie war schon fast da. Mit jedem Drachen hatten sie sich weiter von Schenn entfernt. Während der Frühling vorüberglitt und Sommerhitze sich über die yanischen Wälder legte, waren sie ihrem Ziel näher gekommen. Der Hass auf die Ungeheuer und der Ruf ihres Herzens hatten sie wie im Sturm vorwärtsgetragen, immer weiter nach Norden.
Es schien unmöglich, jetzt noch nach Süden zu gehen, ganz und gar unmöglich, während ihre ganze Zukunft im Norden lag. Dort, wo er wartet.
» Wer?«, flüsterte Linn sich selbst zu. » Wer ist dort? Was um alles in der Welt will ich eigentlich in Tijoa?«
Sie hob den Kopf und begegnete Okanions nachdenklichem Blick. Sein halbes Gesicht, von einem Drachen zerstört.
» Es waren noch keine zehn Drachen«, erinnerte er. » Wollt Ihr nicht noch weitermachen?«
Linn legte die Finger an ihre Maske und strich über die feinen glatten Schuppen. Sie fühlten sich an, als gehörten sie zu ihrer eigenen Haut. Oft vergaß sie sogar, sie abzunehmen.
Du tanzt durch einen Wald voller Blätter. Sie wirbeln durch die Luft, legen sich auf dein Haar, und der Sturm singt.
Dort ist das Ziel. Tijoa. Dort ist das Herz der Welt.
» Dieser Weg führt uns quer durch Yan, nach Tijoa«, sagte sie. » Wir ziehen direkt in die Schlachtlinie. Durch den Sturm hindurch, bis wir in der Stille ankommen.«
» Wovon redet Ihr?«, fragte Okanion. » Ich bin schon lange der Meinung, dass wir uns wieder nach Süden wenden sollten, nur Ihr wollt ja auf niemanden hören. Wir müssen Kesim in Sicherheit bringen. Und Euch, Gunya.«
» Lasst mich hier«, sagte Gunya. » Holt Euch den Drachen, Linnia, der noch fehlt. Ich werde alles bezeugen, was Ihr wollt – jederzeit. Nehmt, was Euch zusteht.«
Auf einmal hatte Linn den Eindruck, dass Gunyas Schmerzen nicht nur von ihren Rippen oder ihrem Bein herrührten.
» Ihr wisst, was der König mir wirklich versprochen hat, oder?«, fragte sie.
Gunya nickte. » Arian«, flüsterte sie. » Aber er hat mir nie gehört … Ich habe Euch gehasst, wie man nur hassen kann … doch jetzt fühle ich mich leer und ausgebrannt. Ihr seid eine würdige Drachenjägerin, Linnia. Ihr verdient den Platz an der Seite von Brahans Erben.«
Linn spürte, wie genau Okanion zuhörte, wie gierig er auf jedes dieser Worte war – und wie Erleichterung sich auf seinem halben Gesicht zeigte, als sie antwortete: » Nein. Nein, Gunya, das tue ich nicht.« Sie war kurz davor zuzugeben, dass sie sehr wohl Magie benutzt hatte. Dass sie tatsächlich eine Zauberin war – wenn auch eine unwissende, unerfahrene, hilflose Zauberin. » Jemand hat mir einmal gesagt, dass Prinzen nicht wegen eines hübschen Gesichts heiraten, nicht um des Herzens willen, sondern nur, um ihre Macht zu mehren. Ich glaube, das stimmt.«
» Ja«, flüsterte Gunya.
» Ihr habt ihn … geliebt?«
» Ja«, gab die Ritterin zu. » Ich bin sieben Jahre älter als er, aber das hat ihn nicht gestört, als ich an den Hof kam und er mich für die Garde vorschlug. Ich dachte … oh, und man fühlt sich ja auch geschmeichelt, nicht wahr? Wer wäre das nicht, wenn der Königssohn persönlich einem zulächelt und zärtliche Worte flüstert und die Zukunft in goldenem Glanz zu strahlen beginnt? Vielleicht hätten wir eine Chance gehabt, wenn er nicht der Prinz gewesen wäre. So aber war ich nur eine in der langen Reihe seiner Eroberungen.« Sie seufzte.
» Deshalb habt Ihr mich die ganze Zeit gehasst?«, fragte Linn. » Ihr dachtet, es geht mir um Arian?«
» Er ist wie ein Drache«, sagte Gunya leise, » das Gift seiner Zunge wirkt so verführerisch, dass ihm niemand widerstehen kann … ich jedenfalls konnte es nicht.«
Linn hätte gerne behauptet, dass ihr Arian nicht das Geringste bedeutete, aber sie musste zugeben, dass es nicht ganz so einfach war.
Man fühlt sich geschmeichelt … welche Frau wäre das nicht? Oh ja, das war ein Gift, das in den Adern brannte, das nicht aufhörte zu brennen. Der Königssohn persönlich …
Im Süden warteten
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