Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
Mann wenigstens am Leben sein.
So rettete man seinen Feind, indem man ihn tötete.
Mit einem Lächeln dachte Jikesch über diese Ironie nach, als sich seine Zellentür öffnete. Chamija stand vor ihm, in einem langen weißen Kleid, das sich um ihre Waden bauschte. In der dunklen, dreckigen Umgebung wirkte sie völlig fehl am Platz, so hell und kindlich, und die Wachen hinter ihr machten besorgte Gesichter, als sie ihnen befahl, die Tür zu schließen.
» Wir können Euch doch nicht mit ihm alleine lassen. Er ist ein Mörder!«
» Oh, und ob ihr das könnt«, widersprach Chamija, und welchen Zauber auch immer sie einsetzte, die Wachen waren hilflos dagegen.
Die Tür fiel hinter ihr zu.
» Ich habe es getan«, sagte Jikesch, bevor sie fragen konnte.
» Ja«, stimmte sie ihm zu. » Das hast du. Ist es dir schwergefallen?«
» Es geht«, meinte er leichthin, damit sie nicht in sein Herz schaute und dort seinen Triumph bemerkte. Er senkte den Kopf, falls der Sieg vielleicht zu offensichtlich in seinen Augen brannte.
» Der Zeitpunkt war gut gewählt«, sagte Chamija anerkennend. » Nun wird Arian gegen Scharech-Par antreten müssen. Natürlich hat auch er keine Chance, und solange ich die Schuppe nicht habe, kann ich ihm nicht helfen. Aber das ergibt sich vielleicht noch.«
» Bin ich jetzt frei?«, fragte Jikesch leise. » Darf ich … bin ich … wieder ich selbst?«
» Oh, warst du das denn nicht immer?«, fragte sie. » Du selbst, ein Narr mit einem finsteren Geheimnis? Mein lieber kleiner Jikesch, wie kannst du glauben, dass du deiner eigenen Dunkelheit entkommst?«
» Du brauchst mich nicht mehr«, flüsterte er. Er dachte: Ich muss Jikesch sterben lassen. Ich darf nie wieder der Narr sein. Sobald ich hier weg bin, muss ich die Narrenmütze an den Nagel hängen und zusehen, dass ich Land gewinne. Ich werde niemals zu den Tensi gehen können. Vielleicht werde ich ein Schreiber sein, irgendwo in einer fremden Stadt?
Chamija kniete sich hin und fasste ihm mit zarten Fingern ans Kinn. » Arian ist wütend, verstehst du?«, sagte sie leise und zärtlich. » Wie könnte ich zulassen, dass du irgendetwas verrätst? Deine Zunge darf sich nicht lösen, egal, was sie tun.«
» Was wird geschehen?«, fragte Jikesch bang.
» Was, glaubst du, machen sie mit dem Mörder des Königs?« Chamija legte die Stirn in kummervolle Falten. » Das weißt du doch, oder?« Er nickte, und ein merkwürdiges Zittern erfasste ihn von Kopf bis Fuß. » Ich weiß. Ich habe nur noch vier Tage. Ich dachte, du hilfst mir hinaus? Ich war gehorsam, das musst du zugeben.«
» Vier Tage«, wiederholte sie. » Die Hinrichtung findet immer nach der Begräbnisfeier statt, damit sich die Seelen von Opfer und Täter nicht begegnen. Sie senden den König in die Obhut der Götter und warten, bis er dort angekommen ist, bevor sie dich auf den Weg in die Finsternis schicken. So ist es in Schenn, ich habe mich erkundigt. In Tijoa handhaben wir das anders, dort gehen sie zusammen, Hand in Hand, der König und sein Mörder … Aber noch gelten Tijoas Gesetze hier nicht. Du hast Glück, mein Lieber. Vier Tage zum Atmen. Vier Tage, in denen dein Herz schlägt und das Blut durch deinen Körper pumpt. Vier Tage, um von der Sonne zu träumen.«
» Rette mich«, schlug er vor. Natürlich sollte sie das gar nicht. Wenn sie ihm jetzt aus der Zelle half, würden die Wachen das gesamte Labyrinth durchkämmen und es würde wesentlich schwieriger werden, den König zu retten. Aber er schätzte ihr Mitleid recht gering ein, mit Sicherheit würde sie keinen Finger für ihn rühren.
Als er Bedauern in ihren Augen sah, ehrliches Bedauern, wusste er, dass sein Plan schiefgegangen war. Gründlich schief, und vor Angst drehte sich ihm der Magen um.
» Falls du dachtest, dass sie dich in vier Tagen hinrichten, hast du dich getäuscht. Sie fangen jetzt sofort damit an – selbstverständlich werden sie darauf achten, dass du nicht stirbst, damit deine Seele nicht vor Pivellius bei den Göttern eintrifft. Dagegen kann ich nichts machen, denn als die zukünftige Königin von Schenn muss ich mich an eure Wege halten und an euren Glauben.«
Sie stand wieder auf.
» Diese vier Tage werden dir länger vorkommen als dein ganzes Leben, kleiner Narr.«
» Lass mich frei!«, rief er und klammerte sich an ihren Arm, als sie an die Tür pochte. » Lass mich frei!« Es würde einen anderen Weg geben, den König aus der Gruft zu holen. Schwieriger, aber nicht unmöglich. »
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