Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
verlorene Gestalt nichts als Verachtung übrig hatte?
» Und ob es das ist!«, rief sie zurück. » Ich habe Drachen getötet, verstehst du? Drachen, die mir nichts getan haben! Ich dachte, ich wäre eine Jägerin, dabei habe ich … gemordet? Warum hast du mir das nicht längst gesagt, schon vor Jahren?«
» Mord«, sagte er bitter. » So nennt ihr das, was ihr euren eigenen Artgenossen antut. Ich gehöre nicht dazu, egal in welcher Gestalt. Ich war nie ein Mensch, ich …«
Er brach ab. Wenn er Hände besessen hätte, sie hätte sie ergriffen und gedrückt, um ihn zu trösten. Sie hätte ihm auf die Schulter geklopft. Sie hätte genau das getan, was er so vehement abwehrte, weil er nicht wie ein Tier behandelt werden wollte – sie hätte ihn angefasst, denn Menschen berührten einander, um sich Trost zu spenden.
» Steinhag war also nur für die Drachen in menschlicher Gestalt. Das erklärt einiges.« Sie dachte an Nat Kyah, der davon gefaselt hatte, er wolle endlich nach zu Hause zurück. Wenn er nur den grünen Stein hätte.
» Dafür ist also die Schuppe des ValaNaik? Um euch die Verwandlung wieder zu ermöglichen? Mir hast du gesagt, ich würde Kräfte entfesseln, die ich nicht verstehe. Ist denn ein Drache in Menschengestalt schlimmer als … so?«
» Als ein Ungeheuer?« Gah Ran lachte grimmig. » Wir wurden von unserer eigenen Magie getrennt. Nur mit ihr können wir den Gestaltwechsel vollziehen. Seit Jahrhunderten sind wir Fremde in uns selbst. Manch einer hat sich verloren und ist wirklich kaum mehr als ein Tier, andere haben ihre Sprache vergessen und sich den Instinkten hingegeben, die sie aufs Fressen, Rauben und Kämpfen beschränken.«
» Sagst du das, um mich zu trösten?«
Linn fand, dass ihn das Schicksal seiner Artgenossen recht wenig kümmerte. Ging es ihm nur um seine eigene Erlösung?
» Ich habe mit Wesen gekämpft, von denen ich nichts wusste. Warum haltet ihr das geheim? Es ändert alles. Sogar die Legenden! Als Laran mit dem Drachenkönig kämpfte – war dieser zu dem Zeitpunkt ein Mensch? Konnte Brahans Sohn deswegen siegen?«
Gah Ran musterte sie, er schien zu überlegen. » Die alten Geschichten«, flüsterte er. » Sie lügen und lügen doch nicht. Was zählt es, was Dairan war, groß oder stark, klein oder schwach? Du stellst die falschen Fragen. Frag nicht, was Dairan war, frag nach Laran.«
» Ich soll …« Linn verstummte. Ihr Herz setzte für einen Moment aus. » Aber …«
» Hast du dir nie Gedanken über die Namen gemacht? Gah Ran. Dairan.«
» Das kommt nicht in allen Drachennamen vor! Nat Kyah, Ojia Ban …«
» Stimmt. Es deutet auf die Stellung unserer Familie hin. Nur die Abkömmlinge der fünf edelsten und mächtigsten Familien von Steinhag schmücken sich mit einem Ran im Namen.«
» Aber Laran ist gar kein Drachenname! Ich meine, das kann kein Drachenname sein! Er war Brahans Sohn, er war unser Held, er hat Schenn gerettet!«
» War er tatsächlich Brahans Sohn? Das älteste Kind einer Prinzessin, die aus dem Reich der Drachen befreit wurde? Die Legenden dichten ihr einen wunden Fuß an, aber es gab einen anderen Grund, warum sie so langsam durch die Berge vorwärtskam.«
» Nein! Das glaube ich nicht!«
Linn hatte von ganzem Herzen an die alten Geschichten geglaubt. Sie war damit aufgewachsen, sie kannte sie sogar auswendig. Sie diente Brahans Erben mit voller Überzeugung – und nun stellte sich heraus, dass alles ganz anders war?
» Verstehst du jetzt, warum niemand wissen darf, wer wir sind? Alle Gewissheiten zerbrechen, wenn man sich nicht darauf verlassen kann, wen man vor sich hat, ob Mensch oder Drache. Ungeheuer sind schlimm genug, aber wie würdet ihr damit leben, dass euer Gegenüber in Wahrheit ein Drache sein könnte?«
Linn versuchte immer noch, mit dem Schock fertig zu werden. Es war ja schon schwer genug gewesen, sich auf den Gedanken einzulassen, dass Gah Ran die Helden der Legenden gekannt hatte. Was hieß das für die Gegenwart? » Lebt er noch?«
» Laran? Nein, er ist tot. Der letzte ValaNaik, der Erbe der Macht … Es geht nie gut aus, wenn ein Drache von Menschen erzogen wird. Er wusste viel zu lange nichts von seiner wahren Natur, und als er es schließlich herausfand, war es zu spät. Sie hatte ihm so viele Lügen in den Kopf gesetzt, dass es unausweichlich war – er musste mit seinem Vater aneinandergeraten. Ihr Streit vernichtete unsere Welt.«
» Sie?«
» Chamija«, erklärte Gah Ran. » Wer sonst hätte es gewagt,
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