Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
schon im Palast in Lanhannat gehört hatte.
» Nexin«, sagte sie und berichtigte sich sofort. » König Scharech-Par.«
Er trug ein schlichtes dunkelgraues Gewand. Der kalte Wind von der See zerrte an seinem Haar, aber er schien nicht zu frieren. Sein ebenmäßiges, nicht ausgesprochen schönes, aber dennoch irgendwie anziehendes Gesicht war zu einem Lächeln verzogen, das Linn nicht zu deuten wusste.
» Ihr kommt spät, Ritterin Linnia. Inzwischen habe ich eine andere Zauberin.«
Sie wusste nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert war.
» Dann braucht Ihr mich also nicht mehr?«
Kameradschaftlich legte er ihr den Arm um die Schultern und führte sie auf das Schloss zu. » Ich habe Euch eingeladen, weil Ihr in Tijoa frei leben könnt«, erinnerte er. » Nicht für meine selbstsüchtigen Zwecke.«
» Deshalb habt Ihr mir die Maske gegeben? Damit ich frei bin?«
Er lachte, und sie wünschte sich, er würde sie loslassen. Nirgends waren Wachen zu sehen. Brauchte er keine Soldaten, keine Torhüter? Die Stufen hoch zum Eingang waren rutschig und mit einer weißen Kruste bedeckt. Muscheln klebten in großen Trauben am Geländer.
» Also habe ich mich nicht getäuscht. Ihr habt sie bekommen. Tragt Ihr sie denn gar nicht? Ist sie nicht weich wie Eure eigene Haut, glatt und kühl wie Seide?«
Einen Moment lang war sie versucht, ihm alles zu erzählen. Wie sie Nival geheilt hatte und dass Gah Ran nicht länger ihr Freund war. Doch sie biss sich rechtzeitig auf die Lippen. Ihr kam in den Sinn, was Chamija ihr verraten hatte: Er ist der mächtigste Zauberer von Tijoa, womöglich der ganzen bekannten Welt zwischen Fluss und Gebirge, Meer und Ebene …
» Wie konntet Ihr Schenn angreifen, nachdem wir gerade erst ein Bündnis geschlossen hatten?«, platzte sie heraus.
Man sprach mit Königen nicht wie mit Freunden. Doch Scharech-Par war so ganz anders als Pivellius, der immer ernst und grimmig auf dem Thron gesessen hatte. Er kam ihr eher vor wie ihr alter Meister Bher – immer ein wenig von oben herab, wenngleich voller Verständnis für die Sorgen junger, unbedeutender Menschen. Bher war dabei jedoch eine gute Seele gewesen und hatte sie ernst genommen. Der Tijoaner dagegen blieb völlig undurchschaubar.
Auch durch ihre unverschämte Frage ließ er sich weder zu Wut noch zu sonst einer Regung provozieren, die ihr einen Blick hinter seine unsichtbare Maske erlaubt hätte.
» Unter Freunden sollte man über die Wahrheit sprechen dürfen«, entgegnete er. » Auch über unangenehme Wahrheiten.«
» Wie die, dass Ihr Brahans wahrer Erbe seid? Dass Ihr als Nachkomme Larans Anspruch auf unser ganzes Königreich habt?«
Wie ein Bauer, der ihr einen Schlafplatz in seinem Haus angeboten hatte, öffnete er eigenhändig das schwere Holztor. Vor ihnen stand ein weiterer Mann, den Linn kannte – Charrin, der ehrwürdige Botschafter von Tijoa. Ihm reichte Scharech-Par ihren dicken Mantel.
» Eure Stiefel sind eisverkrustet. Legt sie ab. Wir laufen hier nicht über Marmor wie in Lanhannat.«
Der Botschafter eilte mit ihren Sachen davon. Linn fühlte sich fast nackt nur mit Strümpfen und dem groben Wollkleid. Immer noch zitterte sie, doch der Raum war von einer angenehmen Wärme erfüllt. Ein wohltuendes, fruchtig-blumiges Aroma lag in der Luft, aber sie konnte kein offenes Feuer sehen. Der König führte sie über dicke Felle zu einem mit Pelz und Stoff bezogenen Sofa. Sie sah sich verstohlen um. Dieser Raum war kleiner als Arians Gemach, mit dem Thronsaal hatte er nicht das Geringste gemeinsam. Die Stämme, aus denen die Wände errichtet waren, hatten die Baumeister nicht einmal verkleidet, man sah noch die Astlöcher oder die Maserung des Holzes, und an vielen Stellen ragten aus den Wänden ganze Äste, an denen Lampen hingen, die ein schimmerndes Licht verbreiteten.
Charrin kehrte zurück und reichte Linn eine Schale, in der eine heiße Flüssigkeit dampfte. War er doch nur ein Diener?
» Trinkt, dann wird Euch warm«, lud Scharech-Par sie ein. » Euer Gemach werdet Ihr gleich zu sehen bekommen, es steht schon lange bereit. Außerdem freut Ihr Euch sicherlich, eine alte Bekannte wiederzutreffen.«
Linn hob überrascht die Brauen, tat ihm jedoch nicht den Gefallen nachzufragen. Vorsichtig kostete sie von dem unbekannten Getränk. » Es ist doch nicht irgendwie – magisch?«
» Magie«, sagte er. » Überall. Meine Drachen hocken auf den Türmen und Zinnen dieses Schlosses. Glänzender Staub flirrt durch die Luft.
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