Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
besaß. Von hier aus wurde der Gesang noch lauter, bald hallte er durchs ganze Schloss.
Hastig duckte sie sich hinter das Geländer, als in einem der unteren Stockwerke der König und seine Zauberin erschienen. Auch Charrin tauchte auf, er lächelte, doch als Scharech-Par ihm einen finsteren Blick zuwarf, setzte er rasch ein missbilligendes Gesicht auf. Alle gemeinsam blickten sie in den Schacht, aus dem das Lied hochstieg, sich mit dem Rauschen der Wellen mischte und ausklang.
» Was war das?«, verlangte Scharech-Par zu wissen.
» Ich habe keine Ahnung, Herr«, meinte der Diener.
Wea zuckte die Achseln. » Vielleicht hat eine der Arbeiterinnen gesungen.«
» Ich verbiete es!«, zischte er. » Sag ihnen, sie sollen still sein, Charrin!«
» Sehr wohl, ich gehe sofort.« Er verschwand von der Galerie.
» Ihr braucht keine Angst um Eure Seide zu haben, Hoheit«, sagte Wea. » Alles läuft, wie es soll.«
» Angst?«, fragte er scharf. » Ich habe keine Angst!«
Sie standen noch eine Weile auf der Galerie, und Linn spähte angestrengt durch das Astgeflecht des Geländers, damit ihr ja nichts entging. Der König streckte die Hand aus und berührte Weas Wange. Sie seufzte leise. Die junge Frau war doch nicht etwa in ihn verliebt?
Auf ein Murmeln der Zauberin hin erlosch das Licht. Linn horchte. Das leise Knarzen einer Tür.
Nun war sie allein auf dieser Seite des Ganges, allein mit dem Schacht und dem Meer tief unten. Wieder stiegen aus dem Rauschen Worte empor, ein Lachen, das direkt aus den Wellen zu kommen schien. Sie beugte sich über das Geländer und versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen. Es hatte keinen Zweck. Die Töne kamen wie in einem Traum zu ihr, waren nicht zu greifen. Vorsichtig tastete sie sich am Geländer weiter nach unten, die endlose Spirale abwärts, bis sie hinter einer der Türen eine klagende Stimme vernahm. Mit dem Gesang hatte sie nichts gemeinsam.
Leise schob Linn die Tür auf. Anders als erwartet, führte sie nicht in einen Gang, sondern in einen langen, schmalen Raum, in dem es eisig kalt war. Durch die fensterlosen Öffnungen wehte Gischt herein, kalt und silbern stand der Mond am Himmel. In seinem Schein hockten zahlreiche dunkle Gestalten auf dem Boden. Eine davon weinte unterdrückt – das war das Geräusch, das Linn hergelockt hatte.
Sie stand da wie gelähmt. Auf keinen Fall wollte sie entdeckt werden, aber sie konnte auch nicht verschwinden, ohne zu wissen, was hier eigentlich vor sich ging.
Lautlos hockte sie sich neben eine der Gestalten – eine gebückt dasitzende Frau, die im Mondlicht etwas zu nähen schien.
» Was tut Ihr da?«, fragte Linn leise.
Die Näherin hob nicht einmal den Kopf. Verbissen arbeitete sie weiter. Ihre Hände zitterten in der Kälte, und die Frau daneben fing an zu husten. Sie krümmte sich, hörte aber nicht auf zu nähen.
» Was wird das?«, fragte die Drachenjägerin etwas lauter.
Das Entsetzen übermannte sie. Schließlich hatte sie gedacht, das Schloss sei so gut wie leer – hatte Charrin nicht behauptet, Scharech-Par sei menschenscheu? Doch hier befanden sich einige Dutzend Frauen, die bei schneidender Kälte und ohne Licht arbeiteten. Wer dachte sich so etwas aus?
Da keine der Anwesenden auf ihre Ansprache reagierte, zog Linn sich wieder zurück. Sie hatte kaum die Tür geschlossen, als sie gegen Wea prallte, die eine Leuchtkugel in der Hand trug.
» Hast du mich erschreckt!«
» Warum schleichst du hier herum?«, fragte die Zauberin streng. » Wie kannst du die Türen öffnen? Ich dachte wirklich, mein Bann wäre stark genug.«
» Was tun die Frauen da?« Linn war von ihrer seltsamen Entdeckung viel zu sehr gefangengenommen, um auf Weas Vorwürfe einzugehen. » Sie sind krank. Hast du gehört, wie sie husten?«
» Das ist eben so«, entgegnete Wea. » Die Gewänder müssen bei Mondlicht genäht werden.«
» Warum?«
» Das ist eine Magie, die du nicht verstehst.«
» Ich bin durchaus bereit zu lernen. Worum geht es hier, Wea?«
» Es muss genau richtig gemacht werden. Mehr kann ich dir nicht sagen. Du solltest wieder in dein Zimmer zurückkehren.«
» Es ist Drachenseide, nicht wahr?«
» Woher weißt du das?«, fragte die Zauberin erschrocken.
» Weil es irgendwie immer um Ferrans geht, wenn Scharech-Par im Spiel ist.« Ferrans waren die Seidenraupen, die jene kostbare Seide produzierten, für die Tijoa so berühmt war. Linns guter Bekannter Kesim hatte durch den illegalen Kauf einer Raupenzucht sogar einen
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