Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
willst also mit mir kämpfen?«, erwiderte Nihal, indem sie hinter ihrem Rücken einen Schneeball formte.
»Ja!«
»Bist du dir da wirklich sicher?« »Ja«, rief Jona immer aufgeregter. »Dann pass gut auf!« Sie sprang von dem Mäuerchen und bewarf den Jungen mit einem Schneeball, und der Kleine stürzte sich sogleich begeistert in den Kampf.
So rannten sie hintereinander her durch die Dorfgassen und bewarfen sich mit Schnee, bis sie irgendwann völlig erschöpft stehen blieben. Nihal hatte ihre gute Laune wiedergefunden. Sie fühlte sich so unbeschwert wie als Kind. Am liebsten hätte sie immer so gelebt.
An ihrem Stand bot Eleusi die Stoffe feil, die sie zu Hause webte, die Eier, die ihre Hühner legten, und ein wenig Gemüse aus ihrem Garten. Im Winter und ohne die Hilfe ihres Ehemannes war das alles, was sie produzieren konnte. Sie beide, Jona und sie, lebten von diesen Erträgen, sowie dem, was sie als Heilerin hinzu verdienen konnte. Nihal setzte sich neben sie und beobachtete die Leute, die an ihnen vorüberschlenderten. Es waren ausschließlich Menschen, von anderen Rassen keine Spur. Die Flüchtlinge lebten wohl alle in den größeren Städten, wo die Aussichten, eine Arbeit zu finden oder etwas, mit dem sich der Hunger stillen ließ, besser waren. »Ja, die Städte sind wirklich reich!«, erklärte Eleusi. »Dort leben die Leute, denen es an Geld nicht mangelt: Adlige oder auch Krieger, die durch den Krieg große Ländereien erwerben konnten. Die anderen leben auf dem Land. Viele der Bauern, die du hier siehst, besitzen noch nicht einmal den Boden, den sie bearbeiten, sondern müssen ihn für andere bestellen. Ja, mit der Gerechtigkeit ist es in diesem Land nicht weit her.« Plötzlich blieb ein Ritter ausgerechnet vor ihrem Stand stehen.
Nihal verbarg ihr Gesicht so gut es ging unter der Kapuze: Es war ein Ritter aus dem Hauptlager, der zumeist in der ersten Schlachtreihe kämpfte. Eleusi schien ihn ganz gut zu kennen, denn sie begannen sogleich, miteinander zu plaudern.
Allerdings blickte der Ritter dabei immer wieder zu Nihal hinüber. Irgendwann lächelte er sie an: »Guten Tag. Irre ich mich, oder kennen wir uns von irgendwoher?« Nihal senkte den Blick und schüttelte den Kopf. Das Herz hämmerte ihr in der Brust, und sie merkte, dass sie Angst hatte vor diesem Soldaten. Angst, dass seine Gegenwart den Zauber dieser friedlichen Tage vertreiben könnte.
»Das kann ich mir nicht vorstellen, sie ist eine Verwandte von mir«, log Eleusi. »Sie kommt uns aus Makrat besuchen.«
Doch der Soldat mochte den Blick nicht von Nihal abwenden. »Eine sehr anmutige Verwandte ... Wie heißt du?«
»Lada«, murmelte das Mädchen den ersten Namen, der ihr in den Sinn kam, und während sie ihn aussprach, erinnerte sie sich daran, ihn von dem Alten gehört zu haben, der in den Tagen vor der Zerstörung Salazars durch die Stadt gestreift war. »Lada. Ein wunderschöner Name. Und wie gefällt es dir hier in ...«
Es war Eleusi, die diesen Versuch, ins Gespräch zu kommen, sogleich unterband. »Ach Lada, sei doch so lieb und schau mal, wo Jona wieder steckt.«
Nihal nickte und stand geschwind auf. Einen Augenblick später war sie schon in der Menge verschwunden.
Am Abend kehrten sie mit nur einigen wenigen Münzen mehr in der Tasche nach Hause zurück.
Angesichts dieses kargen Verdienstes kam sich Nihal wie ein Eindringling vor. Kurz bevor sie zu Bett ging, wandte sie sich noch einmal mit sehr ernster Miene an Eleusi: »Bist du sicher, dass ich noch bleiben kann?«
Die Frau blickte sie verwundert an: »Gewiss! Warum nicht?«
»Nun, du hast doch schon genug hungrige Mäuler zu stopfen, das Geld ist knapp und ...«
»Ach, keine Sorge«, unterbrach sie Eleusi lächelnd, »ich finde schon eine Arbeit für dich, mit der du dich nützlich machen kannst. Und jetzt geh schlafen, und mach dir keine so dummen Gedanken mehr.«
Erleichtert mummelte sich Nihal in ihre Decken.
Bevor sie einschlief, dachte sie noch einmal über all das nach, was ihr in den zurückliegenden Tagen widerfahren war. Es begann ihr richtig zu gefallen, ein schönes Kleid zu tragen und sich ohne Schwert an der Seite unter Leuten zu bewegen. Sie fühlte sich wie neugeboren: Ja, vielleicht war sie wirklich eine wiederauferstandene Lada, ein ganz normales Mädchen, das ein ganz normales Leben führte.
Nihal hatte noch nie in solch einer unbeschwerten, liebevollen Atmosphäre gelebt. Jetzt verstand sie, was es bedeutete, eine richtige Familie zu
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