Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
einen einladenden abgestorbenen Baum, genau das, was sie für den Kamin brauchen konnten.
»Geh mal ein Stück zur Seite, Jona. Ich glaube, wir müssen nicht länger suchen.« Als sie die Axt fest in beide Hände nahm, wurde ihr plötzlich ganz anders, und sie blickte auf das Eisen, so als hätte sie in ihrem ganzen Leben noch keines gesehen. »Was ist dir?«, fragte Jona, dem Nihals abwesende Miene nicht entgangen war. »Ach, nichts. Ich musste nur daran denken, wie ich mit so etwas gekämpft habe.« Jona ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, begann aufgeregt um sie herum zu hüpfen und rief: »Zeig mir, was du damit gemacht hast. Bitte! Bitte! Zeig's mir!« Und Nihal war, als rufe die Axt nach ihr. Ja, klar, warum soll ich ihm den Gefallen nicht tun? Noch fester umklammerte sie den Griff, und wie von selbst setzte sich ihr Körper in Bewegung.
Sie ließ die Axt immer schneller herumwirbeln und begann dann, die Luft mit raschen, präzisen Bewegungen zu durchschneiden. Die Klinge rotierte, und sie erinnerte sich an jede Übung, an jeden einzelnen Tag in der Akademie, an jede Trainingsstunde. Und sie wunderte sich über die Wehmut, die sie dabei verspürte: Es war ihr doch schlecht gegangen in diesem Gebäude, abgesehen von Malerbas und Laios Gesellschaft war sie ganz allein gewesen, und doch dachte sie jetzt sehnsüchtig an den Unterricht, an Schwert und Schweiß. An die Schlachten, die sie geschlagen hatte, an ihren flinken Körper im Kampf, die schwarze Klinge, die in der Sonne blitzte... das Gefühl, endlich zu sich selbst gefunden zu haben... die Entdeckung, wie sehr sie im Kampf verwurzelt war, und... Nein! Unvermittelt ließ sie die Axt sinken.
Es ist doch nicht mehr der Krieg, nach dem es dich verlangt, nicht die Schlachten! Die Abende vor dem Feuer sind es, das Leben mit Eleusi und Jona, das anmutige Kleid, das du trägst. . . Das muss deine Zukunft sein!
Jona sah, dass sich Nihals Miene verfinstert hatte, und das Lächeln auf seinen Lippen erstarb. »Bist du böse auf mich?«, fragte er zögernd.
»Nein, überhaupt nicht«, antwortete Nihal, noch etwas verwirrt, »ich hatte nur schlimme Erinnerungen. Beeilen wir uns lieber, sonst kommen wir noch zu spät nach Hause«, und ohne weiteres Wort machte sie sich daran, den Baum mit kräftigen, wohlgesetzten Schlägen zu fällen.
Auf dem Heimweg schwiegen sie zunächst.
Jona blickte Nihal aus den Augenwinkeln an. »Es ist meine Schuld, nicht wahr?« »Was denn, Jona?«, fragte Nihal kühl zurück. Ihr war nicht nach Reden zumute. Dann jedoch bemerkte sie, dass dem Jungen die Tränen in den Augen standen. »Dass du traurig geworden bist... «
Nihal blieb stehen und lächelte ihn an. Dann beugte sie sich zu ihm hinab und gab ihm einen lauten Kuss auf die Wange. »Nein, mein Kleiner. Und ich bin auch nicht traurig. Wirklich nicht. Und nun auf, marsch nach Hause, dort kriegen wir bestimmt etwas Leckeres zu essen!«, antwortete sie, indem sie ihm einen liebvollen Klaps auf den Hintern versetzte.
Und bald schon hüpfte der Kleine wieder vergnügt vor ihr her über den Pfad, doch Nihal wusste, dass sie gelogen hatte.
Eines Nachmittags machte Eleusi ihr einen Vorschlag: Sie saßen beieinander am Tisch, während Jona draußen spielte. Die Frau legte die Schürze beiseite, die sie gestopft hatte, und sah Nihal in die Augen.
»Hör mal, du bist doch eine Zauberin, nicht wahr?«
»Warum fragst du mich das?«, antwortete Nihal verwirrt.
»Ich dachte, du könntest mich vielleicht begleiten, wenn ich zu Kranken gerufen werde, und mir mit deinen Zaubern helfen... «
Nihal war skeptisch. Allein schon die Vorstellung, unter Leute zu gehen, machte sie nervös. »Ich weiß nicht... «
»Wir erzählen einfach, du kommst aus einem anderen Land, von irgendwo weit her, und bist vor dem Krieg geflohen. Wir könnten sagen, du seist die Tochter einer Nymphe! Hier bei uns weiß niemand so genau, wie Nymphen aussehen. Und außerdem kannst du dich doch nicht bis in alle Ewigkeit verstecken, Nihal.« Eleusi wünschte sich, dass ihr Gast bei ihr heimisch würde. Und wenn Nihal spürte, dass sie gebraucht wurde, würde sie vielleicht eher bleiben.
Ihren ersten gemeinsamen Auftrag erhielten sie an einem Abend, an dem dichter Schnee fiel. Ein Junge aus dem Dorf war von einer Leiter gefallen, mit dem Kopf am Boden aufgeschlagen und bislang noch nicht wieder bei Bewusstsein. In Dunkelheit und Kälte machten sie sich sogleich auf den Weg.
Beim Haus angekommen, traten sie auf
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