Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
machte es sich auf dem Umhang bequem, den er als Bett für sie ausgebreitet hatte.
Jetzt fühlte sie sich unglaublich ruhig.
Bevor sie in den Schlaf hinüber glitt, bedankte sie sich noch einmal bei Sennar, schlief aber bereits, als dieser antwortete: »Ach, wofür denn? Wir sind allein auf dieser Welt und können nur bestehen, wenn wir uns gegenseitig unterstützen. Schlaf gut, Nihal«, und ihr die Decke über die Schultern zog.
5. Träume, Phantasien und Schwerter
Sie war in einem Land, das sie noch nie gesehen hatte, das wusste sie genau, und dennoch fühlte sie sich wie in der Heimat. Die Stadt war groß, und sie bewegte sich unbefangen im Gewirr ihrer Tausenden von Gassen. Überall Menschen, ein chaotisches Hin und Her vor einem lauten Hintergrund aus Geräuschen und Stimmen. Von unzähligen Menschen umringt, konnte sie jedoch kein einziges Gesicht klar erkennen. Vielleicht war sie in Begleitung von irgendjemandem.
Ganz hinten, am Ende einer recht breiten Straße, erblickte sie einen gläsernen Turm, in dem sich die Morgensonne spiegelte. Hoch, blendend weiß, schien er sich bis zum Himmel zu erheben.
Mit einem Male begannen die Leute um sie herum zu schreien.
Ein riesengroßer dunkler Fleck, wie aus Tinte, breitete sich auf dem Pflaster aus. Sie schaute genauer hin. Es war Blut. Tiefrot und zähflüssig. Blut, das bald alles bedeckte, die Landschaft und den Turm rot einfärbte.
Ein bodenloser Abgrund riss vor ihren Füßen auf, und sie begann zu fallen. Sie schrie aus Leibeskräften.
Sie stürzte in die Tiefe, dem Boden entgegen, aber sie wusste, dass es keinen Boden gab und der Fall ewig dauern würde. Während sie fiel, hallten in ihrem Schädel Klagelaute wider, Schreie, das herzzerreißende Weinen von Kindern. Räche uns! Räche unser Volkl Sie wollte es nicht hören, doch die Stimmen bedrängten, quälten sie. Töte es! Töte dieses Ungeheuer!
Da lösten sich, so plötzlich wie sie gekommen waren, diese Bilder des Todes wieder auf. Und Nihal fand sich auf den Schwingen eines Drachen wieder, der mit ihr durch die Lüfte flog. Der Wind kitzelte ihr Gesicht, und sie fühlte sich ganz frei. Sie trug eine schwarze Rüstung, und ihr Haar war sehr kurz geschnitten. Hinter ihr saß Sennar. Sie fühlte, dass sie ihn nach langer Zeit wiedergefunden hatte, und war glücklich, denn irgendetwas band sie an ihn.
In einem blendenden Weiß löste sich auch dieses Bild auf.
Nihal blinzelte. Es war der Morgen eines neuen, herrlich sonnigen Tages, und sie befand sich immer noch auf der kleinen Lichtung. Dann hatte sie also geträumt. Aber wer waren all diese Menschen gewesen? Was war ihnen zugestoßen? Und warum ritt sie auf einem Drachen? Und dann auch noch mit Sennar? Aber wozu die ganzen Fragen? Letztendlich war es doch nur ein Traum.
Sie setzte sich auf, streckte sich und begann laut zu gähnen, als ihr plötzlich die Luft wegblieb. Auf der Lichtung wimmelte es von Geschöpfen, die nur wenig größer waren als eine Hand. Sie hatten Haare in tausend Farben und flatterten, mit zarten Flügelchen schlagend, über der Wiese hin und her.
Nihal traute ihren Augen nicht. Ich träume wohl noch, sagte sie sich und kniff ein paar Mal die Augen zusammen.
Da baute sich eines dieser kleinen Geschöpfe vor ihr auf, musterte sie eingehend mit seinen blauen, pupillenlosen Augen, flog dann ein wenig zurück und fragte: »Bist du ein Mensch?«
Nihal brauchte ein wenig, bis sie antworten konnte: »Ja, natürlich«, sagte sie dann. »Seltsam, ich habe Menschen anders in Erinnerung. Nicht mit so spitzen Ohren ...« »Also für mich sieht sie aus wie eine ...«, erwiderte ein anderes dieser Geschöpfe, etwas weiter entfernt. »Ihr wisst, was ich meine, oder?«
»Unmöglich! Die gibt es doch gar nicht mehr«, mischte sich wieder ein anderes ein. »Eben. Der Tyrann hat sie ja alle ...«
»Ruhe«, rief da jenes, das Nihal angesprochen hatte, und alle schwiegen. »Vielleicht ist sie ja doch ein Mensch. Es gibt ja so viele wunderliche Menschen im Land des Windes.« Nihal hatte sich ein wenig von ihrem Staunen erholt. »Wer bist du? Und all die anderen seltsamen Wesen, die so aussehen wie du? Was tut ihr hier?«
»Vorsicht, Fräulein. Wir sind keine seltsamen Wesen. Wir sind Kobolde. Ich heiße Phos und bin der Anführer der Koboldgemeinde im Bannwald. Wir leben eben hier, wenn du nichts dagegen hast. Aber was ist mit dir? Sag, habt ihr Menschen nicht Angst vor dem Wald?«
»Ja, schon. Aber ich bin auch nicht ganz freiwillig
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