Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
glaube ich zumindest.«
»Mehr nicht? Für uns Kobolde ist das ganz selbstverständlich.«
»Und wie stellt man das an?«
»Dafür muss man gar nichts tun. Du spürst sie eben. Das ist alles.«
Nihal ließ sich mutlos ins Gras sinken. »Ja schon, aber dazu muss ich mich doch konzentrieren, hat Soana gesagt, und das will mir nicht gelingen. Bei diesem ständigen Rauschen und Rascheln ..., ehrlich gesagt, das macht mir Angst.«
»Angst?« Phos schüttelte sich vor Lachen.
»Na, vielen Dank! Ich habe ein Problem, und du lachst mich aus!«
Phos riss sich zusammen. »Nichts für ungut. Du bist mir ja auch sympathisch, und du hast uns zum Frühstück eingeladen. Kurzum, ich will dich unterstützen. Wir werden die Bäume und Wiesen bitten, dir zu helfen. Du, deinerseits, musst dich nur ..., wie hast du noch gesagt? Ach ja, konzentrieren.«
Nihal dankte ihm überschwänglich.
Phos rief seine Leute zusammen. Sie versammelten sich um ihn, flogen dann wieder auf und stoben in alle Richtungen davon, während Phos Nihal mit einer aufmunternden Geste bedachte.
Auf der Lichtung wurde es still.
Nihal trat auf den steinernen Sitz zu und nahm Platz, bereit, sich zu konzentrieren: Dieses Mal, so schwor sie sich, würde nichts und niemand sie von ihrem Vorhaben abbringen können.
Doch auch jetzt war es nicht so leicht, wie sie gehofft hatte. Trotz aller Hilfe von Seiten der Kobolde meinte Nihal wieder nichts anderes zu hören als die gewohnten Geräusche des Waldes: den Wind in den Bäumen, Flügelschlagen, das Gluckern der Quelle ... Dann, ganz langsam, merkte sie, dass sich hinter diesen Geräuschen eine ganz eigene Musik verbarg. Anfangs dachte sie noch, sie bilde sich das ein, es sei ein Hirngespinst, dem anstrengenden Sitzen auf dem Steinsessel geschuldet. Doch die Musik wurde immer deutlicher: Die Laute der Natur schienen eine gemeinsame Melodie anzustimmen. Der Wind im Laubwerk war Bass und Trommel zugleich. Der nächtliche Raureif, der schmelzend in die Quelle tröpfelte, die Harfe. Das Zwitschern der Vögel der Gesang. Sogar das Gras stimmte ein: Nihal konnte es wachsen hören, und dieses Raunen war der Chor im Hintergrund.
Erst jetzt nahm Nihal ganz intensiv den Stein unter sich und dann auch den Erdboden wahr. Sie spürte sie gleichmäßig pulsieren, wie von unsichtbaren Adern durchzogen, die im Rhythmus eines Herzens, das noch in jedem Ästlein pochte, die Natur durchströmten. Die Natur sprach zu ihr, mit archaischen Worten, die Nihal zwar nicht verstand, die ihr aber dennoch ihre geheime Bedeutung offenbarten. Alles ist eins, verkündeten sie, und eins ist alles. Alle Dinge wurzeln und enden in der Schönheit der Natur. Alle Wesen auf Erden sind Teile eines großen Körpers -der Schöpfung.
Und Nihal fühlte sich durchströmt von einem grellen Licht, umhüllt von einer wohltuenden Wärme. Sie spürte, dass ihr Herz diese ganze übermenschliche Schönheit gar nicht zu fassen vermochte, und fürchtete, die Besinnung zu verlieren. Doch gleichzeitig war ihr, als werde sie gehalten von mütterlichen Armen, die sie trösteten und sie lehrten, dass jedwedes Geschöpf in dem strahlenden Glanz dieser Schönheit doch seine Identität behält, obwohl es zu jenem unsichtbaren Ganzen gehört. Und so begann sie, sich auf den Schwingen des Windes zu erheben und dahinzufliegen auf den Wolken in ihren mannigfaltigen Formen.
Sie erblickte Gegenden mit grenzenlosen Wäldern von einem satten, geradezu blendenden Grün. Dann war ihr, als sei sie eine Blume im Gras und breite, zart berührt von den Sonnenstrahlen, ihre Blütenblätter aus. Dann war sie ein Baum, und sie spürte, wie ihre Krone in den Himmel reichte und sich ihr Geäst im Winde streckte. Sie war Frucht, sie war Vogel, Fisch, Tier ... Und schließlich nackte Erde, die dem Samen Leben schenkt und jedes Lebewesen hervorbringt.
Und ihr war, als habe sie in kürzester Zeit den Sinn des Daseins begriffen. Sie fühlte sich tausend Jahre alt und weise.
Ja, als sei sie Tausende Male bereits geboren worden, habe Tausende Male gelebt, sei Tausende Male gestorben, in jedem einzelnen all der Wesen, die seit Anbeginn in der Aufgetauchten Welt gelebt hatten.
Und sie fühlte, dass das Leben nie enden würde.
Nihal öffnete die Augen, und es war, als kehre sie plötzlich zur Erde zurück. Es war tiefste Nacht. Reglos auf dem Steinsessel sitzend, war sie einen ganzen Tag im tiefsten Innern der Natur umhergereist. Erschöpft lehnte sie sich zurück und merkte erst jetzt, dass
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