Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
nicht, aus welchem Land er eigentlich kommt. Vor einigen Jahren befreiten wir ihn aus einem Kerker, in dem er lange geschmachtet hatte. Damals war es uns gelungen, einen wichtigen Vorposten des Tyrannen im Land der Tage zu erobern. Er war entsetzlich zugerichtet, und sein ganzer Leib von der Folter gezeichnet. In demselben Kerker lagen auch andere Gnomen beiderlei Geschlechts, die in ebenso kläglicher Verfassung waren. Wir nahmen sie alle mit, in der Hoffnung, ihr Leben retten zu können. Aber vergebens. Sie erholten sich nicht mehr. Der Einzige, der überlebte, war Malerba. Er half sogar noch bei der Pflege seiner ehemaligen Zellengenossen, und die Hingabe, mit der er das tat, sowie der Schmerz, den ihm ihr Hinscheiden bereitete, legte den Gedanken nahe, dass es Angehörige von ihm waren. Eine Zeitlang war uns Malerba ein Rätsel. Was war im Kerker mit ihm geschehen, und wieso hatte man ihn so brutal gefoltert? Damals wussten wir noch nichts von dem Grauen, mit dem der Tyrann stets unterworfene Völker überzieht. Als wir später dann aber auf viele ähnliche Fälle stießen, wurde uns alles klar: Die Fammin sind keine, wie soll ich sagen, natürliche Rasse. Es sind Geschöpfe des Tyrannen, er hat sie geformt mit seinen magischen Künsten. Und nun arbeitet er daran, andere Arten von Lebewesen dazu abzurichten, ihm mit derselben blinden Ergebenheit zu dienen. Dazu experimentiert er mit Gefangenen. Malerba war der lebende Beweis: Sein gequälter Körper entspringt den Versuchen des Tyrannen, das Volk der Gnomen in perfekte Krieger umzuformen. Wir wissen nicht, wie viele in seine Gewalt geraten oder auch schon gestorben sind. Es könnte sich um ganze Völker handeln.« Nihal erschauderte.
»Wahrscheinlich hat dich Malerba aufrichtig ins Herz geschlossen, vielleicht, weil du ihn an jemanden erinnerst. In seiner Zelle war damals nämlich auch ein junges Mädchen. Möglicherweise seine Tochter ... Er will dir nichts tun, und du solltest versuchen, ihn mit Nachsicht zu behandeln. Er hat schon so viel Grausames erleben müssen.«
Zwar gelang es Nihal nicht, ihre Furcht vor Malerba ganz zu überwinden, doch sah sie ihn nun mit anderen Augen. Sie bemühte sich, ihren Abscheu zu unterdrücken und freundlich zu ihm zu sein, indem sie sich für seine Dienste bedankte und sein abstoßendes Lächeln erwiderte, in dem sie nun so etwas wie Dankbarkeit wahrnahm. In gewisser Weise waren sie sich ähnlich: zwei Wesen, gehasst, weil sie anders waren, gefürchtet und zutiefst einsam.
Fünf Monate nach ihrem Eintritt in die Akademie wurde Nihal zu Raven bestellt. Auf das übliche entnervende Warten gefasst, begab sie sich in den Audienzsaal, doch der General hatte bereits in seinem Sessel Platz genommen.
»Wie man mir berichtet, stellst du dich sehr geschickt an und machst große Fortschritte, Mädchen.«
Nihal traute ihren Ohren nicht.
»Dein Lehrer hatte mich schon wiederholt darum gebeten, dich zur nächsten Ausbildungsstufe zuzulassen und in den Kreis der Fortgeschrittenen aufzunehmen. Nun halte ich selbst auch den Moment für gekommen. Kurzum, du darfst den Umgang mit den anderen Waffen erlernen. Das war alles.«
Die Schleppe seines weiten Umhangs hinter sich herziehend, schritt Raven aus dem Raum und ließ eine ungläubige, aber glückliche Nihal zurück.
In der neuen Gruppe fühlte sie sich auf Anhieb wohl.
Zwar waren die neuen Kameraden ebenso abweisend wie die Anfänger, doch musste sie nun nicht mehr mit nur halber Kraft kämpfen. Zudem war, seit Parsel sie im Umgang mit der Lanze unterrichtet hatte, auch ihr Interesse an anderen Waffen geweckt worden. Die Übungsstunden vergingen wie im Fluge, und alles Neue war wieder ein zusätzlicher Anreiz für sie.
Sie lernte, wie vielseitig ein Dolch im Nahkampf einzusetzen war, verfeinerte ihre Technik im Kampf mit der Lanze und befasste sich, obwohl sie immer noch recht zierlich war, sogar mit dem eisernen Morgenstern und der Streitaxt.
Mit ersterem kam sie kaum zurecht. Die Waffe war so schwer, dass es ihr schon Schwierigkeiten bereitete, sie nur anzuheben, und erst recht, gezielt damit zuzuschlagen. Der Umgang mit der Streitaxt hingegen machte ihr Spaß und erinnerte sie in gewisser Hinsicht an das Schwert: Es war eine einfache, aber sehr wirkungsvolle Waffe, wie dazu gemacht, mit ihr alle Wut herauszulassen.
Auch die Peitsche gab man ihr in die Hand, jene Waffe, mit der sie der berüchtigte Thoren fast getötet hatte, und nun merkte sie, wie schwierig sie richtig zu
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