Die Drachenkämpferin 02 - Der Auftrag des Magiers
doch Sennar hatte Ondine bereits untergehakt und sich mit ihr entfernt. »Was war denn mit dem Bild?«, fragte das Mädchen.
»Ach, gar nichts. Ich war bloß neugierig.«
Nihal. Ja, Nihal ... Wie hatte er sich da bloß etwas vormachen können?
Am Abend saßen sie in der Schenke des Gasthauses, in dem sie abgestiegen waren, und warteten auf den Grafen.
»Es ist schon spät, Ondine«, sagte Sennar, als sie zu Abend gegessen hatten. »Leg dich doch schlafen.«
»Eigentlich wollte ich mit dir zusammen warten.«
Der Magier blickte sie sanft an. »Das ist wirklich nicht nötig. Ich sehe doch, wie müde du bist. Komm, geh hinauf und leg dich schlafen.«
Ondine gehorchte ohne weitere Einwände.
Sennar wollte allein sein. Jetzt plötzlich war ihm alles unbarmherzig klar. Was hatte er denn mit Ondine im Sinn? Sie war es doch nicht, die er begehrte. Sie war es nicht, von der er träumte. So saß er da und plagte sich mit seinen Gewissensbissen, als ihn plötzlich wieder jenes Gefühl der Bedrohung wie bereits am Nachmittag überkam. Er zwang sich, nicht mehr an Nihal und Ondine zu denken, und schloss die Augen, um sie gleich darauf wieder zu öffnen und sich auf die Leute um ihn herum zu konzentrieren. Der Reihe nach ging er sie durch: Der Mann hinten in der Ecke? Nein. Die Frau an der Theke? Auch nicht. Der Betrunkene am Nebentisch ...? Plötzlich schwand das Gefühl, und Sennar sprang auf, konnte aber nur noch den Saum eines schwarzen Umhangs erblicken, der aus der Tür glitt. Er stürzte ihm nach und stieß auf der Schwelle fast mit Graf Varen zusammen.
»Habt Ihr gesehen, wer da gerade hinaus ist?«, fragte er aufgeregt. »Ich hab nicht drauf geachtet«, antwortete Varen. »Was ist denn los?«
Sennar schüttelte den Kopf. »Ach nichts, kommt, gehen wir wieder hinein und erzählt mir von Eurer Audienz beim König.«
Am Tisch in der hintersten Ecke der Schenke lauschte Sennar aufmerksam den Worten des Grafen.
»Ich habe mit Seiner Majestät gesprochen. Es war eine lange und schwierige Unterredung. Ich will ganz offen zu Euch sein, werter Rat: Der König ist Euch nicht sehr gewogen.«
»Das war vielleicht zu erwarten«, antwortete Sennar. Jetzt hätte ihm ein ordentliches Glas Haifischschnaps gutgetan. Er bestellte etwas zu trinken. »Mit anderen Worten, er will mich gar nicht empfangen.«
»Doch, das schon. Ich konnte ihn zu einer Audienz bewegen, die allerdings morgen in Gegenwart des ganzen Volkes auf dem Exerzierplatz vor dem königlichen Palast stattfinden soll. Man wird Euch dazu in Ketten legen, denn der König fürchtet Euch. Außerdem ...« Der Graf zögerte und fuhr dann fort: »Sollten Eure Worte Seine Majestät nicht überzeugen, wird man Euch auf der Stelle den Kopf abschlagen. Und mich erwartet das gleiche Schicksal.«
Sennar erstarrte, mit dem Glas in der Hand auf halber Höhe. »Das heißt also, Ihr habt... Ihr habt Euer Leben für mich verpfändet?«
Varen blickte dem Magier fest in die Augen. »Hört mir zu, Sennar. Als ich zum Grafen ernannt wurde, hatte ich viele Träume, und Ihr erinnert mich an den Mann, der ich damals war. Diese Träume konnte ich nicht verwirklichen. Solltet Ihr aber mit Eurem Vorhaben Erfolg haben, wird dies auch für mich einen neuen Anfang bedeuten. Andernfalls ..., nun, ich habe lange genug gelebt. Und niemand wird mich wirklich vermissen.«
Ganz benommen schwieg Sennar eine Weile. »Ich ...«, begann er dann, »... freue mich natürlich, dass Ihr an mich glaubt. Doch Ihr habt eine Grafschaft zu regieren, Menschen, für deren Leben Ihr Verantwortung tragt. Ich kann nicht zulassen, dass Ihr dieses Opfer für mich bringt.« »Ich tue es nicht für Euch, verehrter Rat, sondern für mich«, murmelte der Graf. Dann ergriff er Sennars Glas und leerte es in einem Zug.
Sennar betrat seine Kammer und stellte sich ans Fenster. Die gläserne Stadt lag reglos vor ihm, eingeschlossen in ein tiefes Blau, das dem Magier plötzlich bedrohlich vorkam. Was ist da draußen los? Wer ist da am Werk?
Er setzte sich auf den Fußboden, schlug die Beine übereinander und begann nachzudenken. Zu den ersten Dingen, die man einem angehenden Magier beibrachte, zählte es, die Gegenwart anderer Zauberer wahrzunehmen. Dabei handelte es sich um keinen Zauber im engeren Sinne, sondern mehr um eine Ermittlungstechnik. Aufgrund des Zaubers, mit dem ihn der alte Deliah belegt hatte, hätte sie ihm jetzt nicht möglich sein dürfen, doch anders war dieses Bedrohungsgefühl nicht zu deuten: Er spürte
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