Die Drachenkämpferin 02 - Der Auftrag des Magiers
sie solch einen Stadtteil durchquerten, fragte sich Sennar, wie so oft, ob eine Welt, in der wahre Brüderlichkeit herrschte, überhaupt möglich war.
Der königliche Palast war ein imposantes Gebäude inmitten der Stadt, aufgebaut aus unendlichen Reihen von Fialen und Spitztürmchen, die weiß, durchscheinend oder matt aufragten. Er hatte keine Fenster im eigentlichen Sinne: Für Frischluft sorgte eine eigene Röhre, die zur Wasseroberfläche hinaufführte, und zusätzliches Licht fiel durch kleine spitzbogige Bullaugen ein. Erst auf den zweiten Blick bemerkte Sennar das, was am außerordentlichsten war: Ein Teil des Gebäudes befand sich im Wasser, denn das Schloss bestand aus zwei Flügeln, von denen einer vom Meerwasser umspült wurde. Dieser im Wasser befindliche Teil war die Wohnstätte der regierenden Sirenen und Tritonen und war in der Gründungszeit Zalenias erbaut worden, als Zeichen ewiger Dankbarkeit jenen gegenüber, die den Auswanderern aus der Aufgetauchten Welt geholfen hatten, ihren Traum zu verwirklichen.
Die Regierungen waren in allem getrennt. Die Tritonen und Sirenen auf der einen Seite hatten sich einfach als gute Gastgeber gezeigt, und die Neuankömmlinge andererseits hatten nie irgendwelche Zeichen von Feindseligkeit gegenüber diesem Unterwasservolk erkennen lassen, allerdings auch nie auf eine - übrigens unmögliche - Verschmelzung der Völker gedrungen. Waren die Beziehungen zwischen beiden Gruppen auch von guter Nachbarschaft geprägt, so war der Grundgedanke doch eine größtmögliche Unabhängigkeit voneinander.
»Es wird wohl besser sein, wenn ich zunächst alleine mit Seiner Majestät spreche. Heute Abend werde ich Euch dann über den Ausgang der Unterredung berichten«, sagte der Graf, und Sennar hielt dies für eine kluge Entscheidung.
So hatten der Magier und seine Begleiterin den ganzen Tag Gelegenheit, gefolgt von den Wachen, durch die Stadt zu schlendern, die eindrucksvollen Regierungsgebäude zu betrachten und die hoch in den Himmel ragenden Tempel der Gottheiten jener Welt, oder über einen der vielen kleinen Märkte zu spazieren, die die etwas abseits liegenden Straßen belebten. Auch Ondine hatte die Stadt noch nie besucht und war hingerissen von allem, was sie sah. Sennar aber fühlte sich seltsamerweise unbehaglich. Er hätte den Grund nicht nennen können, aber ihm war, als schwebten sie in großer Gefahr. Die Leute um sie herum bewegten sich ohne Eile, über den Straßen und Plätzen lag ein unaufdringliches Stimmengewirr, und dennoch war der Magier unruhig.
»Was ist los mit dir?«, riss ihn Ondine irgendwann aus seinen Gedanken.
»Nichts, es ist alles in Ordnung.« Sennar lächelte sie an. »Komm, schauen wir uns mal diesen Stand dort an.«
Auf einem langen Tisch waren eine Reihe von Zeichnungen ausgestellt, die fantastische Orte darstellten: idyllische Landschaften, fruchtbare Äcker, wilde Wälder. Plötzlich verstand der Magier, warum ihn gerade dieser Stand angezogen hatte. Auf einer Zeichnung war eine Art Observatorium zu erkennen sowie kleine Wesen, die über Schriftstücken saßen oder durch ein riesengroßes Fernrohr blickten. Sennar beugte sich herab, um sie genauer zu betrachten, und sein Herz begann schneller zu schlagen: Die Gestalten auf dem Bild waren schlank, hatten blaue Haare und spitze Ohren. Halbelfen.
In der Hoffnung, mit dem Interessenten mit der Kapuze auf dem Kopf vielleicht ins Geschäft kommen zu können, sprach der Händler ihn mit schmeichlerischer Stimme an: »Willkommen, Fremder. Das Bild scheint dir zu gefallen. Das sind Sternforscher aus dem Land der Tage. Ich mach dir einen guten Preis.«
Sennar antwortete nicht. Seine Gedanken waren Tausende von Meilen entfernt, verloren sich in Nihals Antlitz. Wo mochte sie jetzt sein? Wie mochte es ihr gehen? Ob sie wohl noch an ihn dachte?
»Sennar«, murmelte Ondine, während sie eine Hand auf seinen Arm legte. Der Magier riss sich aus seinen Gedanken. »Woher hast du die Zeichnung?«, fragte er den Mann.
Der Händler zwinkerte Ondine zu. »Man merkt, dass er nicht von hier ist. Das hab ich selbst gemalt. Ich bin Pelavudd persönlich. Stets zu Diensten.«
»Du kennst Halbelfen?«, fragte Sennar weiter.
»Wer kennt die nicht?«
»Ich meine, hast du schon mal welche gesehen?«
»Ja, wie denn? Die sind doch von oben. Nein, als ich es malte, hatte ich die Balladen von ihrer Vertreibung im Sinn. Ein schönes Bild, oder? Willst du es nicht kaufen?«, versuchte es der Händler noch einmal,
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