Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
schleppte sich, immer schwächer werdend, weiter. Auf dem oberen Treppenabsatz, bei der Arena, angekommen, ließ sie sich zu Boden fallen und wusste, dass sie nie mehr würde aufstehen können. Die Sonne war wohl immer noch nicht ganz untergegangen, denn um sie herum war alles feuerrot. Der Boden vibrierte unter der Last der Steinquader, die auf ihn herniederkrachten. Nihal war völlig entkräftet, und ihr Schwert aus schwarzem Kristall, mit dem sie das Amulett hätte zertrümmern müssen, um sich zu erholen, hatte sie verloren. Es war ihr Schicksal, dass sie beide nun hier in dieser Arena würden sterben müssen, ohne die Früchte ihrer Mission ernten zu können.
Könnte wenigstens Sennar sich retten, um für uns beide tu leben...
Da plötzlich erinnerte sich Nihal an Rais' Worte und an die Kräfte des Talismans: Sie hatte noch einen Zauber frei, der ihren eigenen Tod bedeuten, Sennar aber retten würde. Für sie selbst gab es keine Hoffnung mehr. Sobald die Sonne vollständig untergegangen wäre, würde sie sterben. Die Welt kann ich nicht retten, aber ein einzelnes Leben.
Nihal hatte Angst zu sterben, ausgerechnet jetzt, da sie zu leben gelernt hatte, doch dies war ihr Schicksal. Sie sprach die Worte für den Flugzauber, und während sie sich den Kräften der Magie überließ, während sie spürte, wie ihr Leben zerrann, bewegten sich die schwarzen Flügel auf ihrem Rücken und spreizten sich im Wind.
Epilog
Als der Tyrann in meinen Geist eindrang, erfuhr ich, was wahre Verzweiflung ist. Zuvor hatte ich schon manches Mal geglaubt, wirklich verzweifelt zu sein. Als ich Nihal halbtot inmitten der Sümpfe Salazars fand, als ich in Zalenia in meiner Zelle saß oder als ich über das Blutbad nachgrübelte, das ich im Land der Nacht angerichtet hatte. Aber erst in dem Moment, als der Tyrann meinen letzten Widerstand brach und meiner Seele Gewalt antat, wusste ich, was es bedeutet, keinerlei Hoffnung mehr zu haben. Denn während er in meinem Geist nach jenem Geheimnis suchte, das er mir durch die Folter nicht hatte entreißen können, konnte ich für einen kurzen Augenblick in seine Seele schauen und fühlen, was er selbst fühlte. So entdeckte ich, dass dieser Mann hoffnungslos verzweifelt war.
Vor langer Zeit schon hatte er aufgehört, an etwas zu glauben, alle Gewissheiten waren ihm unter den Händen zerfallen, bis zum Schluss nur noch Schmerz und Leere übrig waren. In jenem Augenblick wurde mir dies alles klar. Bis dahin hatte ich mir nicht erklären können, wie ein lebendes Wesen so ausschließlich die Zerstörung suchen konnte. Ich hatte immer geglaubt, auch hinter der Todessehnsucht des Selbstmörders stehe im Grunde der verzweifelte Wunsch zu leben. Der Tyrann strebte eine völlige Auslöschung seiner Person und der Welt an, denn er war erfüllt von einem grenzenlosen Mitleid mit sich selbst und allen Geschöpfen der Aufgetauchten Welt. Was ihn bewegte, war also weniger Grausamkeit, als vielmehr eine absonderliche Form der Liebe Zur Welt. Eine vollkommene Vernichtung, so war er überzeugt, sei die einzige Hoffnung für die leidgeplagten, verlorenen Länder dieser Erde.
Und obwohl ich wusste, dass er anders nicht aufzuhalten war, empfand ich Trauer um ihn, als ich hörte, dass er getötet worden war, denn letztendlich war auch er ein Opfer gewesen — so wie wir alle übrigens.
Als Nihal Aster erstach, habe, so wurde mir erzählt, plötzlich die Erde zu beben und seine Festung zu wanken begonnen. Von all dem merkte ich zu diesem Zeitpunkt nichts, weil ich mehr tot als lebendig in meiner Zelle hing. Doch allen, die es erlebten, war sofort klar, dass nun die vierzigjährige Herrschaft des Terrors und des Todes beendet war. Sie reckten ihre Schwerter in die Höhe und schmetterten einen Siegesschrei zum Himmel. Dieser Schrei des Jubels und der Freude pflanzte sich überallhin fort, bis zum Saar im Westen und der Großen Wüste im Osten, wurde ausgestoßen von den Kehlen all jener, die bis dahin nur die Leiden der Knechtschaft kennengelernt hatten. Es war überstanden, eine neue Zeit brach an für die Aufgetauchte Welt. Unter den zerstörten Bollwerken der Feste wütete die Schlacht noch bis in die Nacht weiter. Und so begann auch diese neue Zeit mit Blutvergießen. Viele Gefolgsleute des Tyrannen ergaben sich, andere führten den Kampf fort, doch niemand wurde geschont, weder jene, die blieben, noch die Fliehenden. Die Soldaten der Freien Länder, die »für den Frieden kämpften«, wie Nihal dem Tyrannen
Weitere Kostenlose Bücher