Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
hatten ihren Glanz fast völlig eingebüßt. Die Aufgetauchte Welt war gerettet und sie verloren.
Der Dolch, den Sennar ihr mitgegeben hatte, steckte noch in ihrem Stiefel. Mit Tränen in den Augen zog Nihal ihn hervor und hielt ihn fest in den Händen. Die Klinge erloschen zu sehen, würde ihr helfen, die Wahrheit zu akzeptieren, deshalb zückte sie ihn. Als ihr Blick auf die Klinge fiel, machte ihr Herz einen Sprung. Sie leuchtete. Das Licht war schwach, im Erlöschen begriffen, erhellte aber noch ein wenig das Eisen. Der Tyrann hatte gelogen, um seine letzte Karte auszuspielen. Sennar lebte!
Nihal gönnte sich noch nicht einmal die Zeit zujubeln, sie durfte keinen Augenblick verlieren. Die Festung würde bald einstürzen, und wollte sie Sennar retten, war höchste Eile geboten.
Sie sprang auf, und schon diese Bewegung nahm ihr fast den Atem. Auch ihre Beine spürte sie kaum noch. Sie blickte aus dem Fenster hinter dem Thron: Das Tageslicht war fast erloschen. Sie riss sich zusammen und folgte dem schwachen Schein des Dolches. Sie begann zu laufen, während der Boden unter ihren Füßen schwankte, sich die Treppen wellten. Ihrer Seele beraubt, fiel die Tyrannenfeste wehrlos in sich zusammen. Nihal rannte durch den einstürzenden Palast, vorbei an Wänden, die unter ihrer Berührung zerbröckelten und ihre Hände mit dunklem Staub überzogen. Säulen stürzten um, mächtige Quader krachten aus den Mauern zu Boden.
Ich finde ihn, ja, ich werde ihn finden, und wir werden so glücklich leben, wie wir es verdient haben.
Um Luft ringend, hastete sie weiter, obwohl ihre Beine fast taub waren und die Schmerzen in der Brust immer unerträglicher wurden. Durch die Labore, dann durch die Bibliothek. Im Labyrinth der Säle, in dem sie sich auf dem Hinweg fast verirrt hatte, lagen die Fußböden schon voller Schutt und Trümmer. Dazwischen Leichen von Freund und Feind und überall Blut, das den Boden glitschig und ihre Schritte unsicher machte.
Ich bin ganz nahe, ich bin gleich bei dir!
Als sie zur Arena gelangte und den Blick hob, sah sie, dass der mächtige Turm bedrohlich schwankte. Sie stürmte weiter in Richtung des Kerkertrakts, den sie von oben gesehen hatte, dann eine steile Treppe hinunter und durch düstere, feuchte Flure bis zu einem System schmaler Gänge, die von Stöhnen und Klagen erfüllt waren. Gern hätte Nihal alle Gefangenen befreit, aber dazu reichten ihre Kräfte nicht mehr. Der Weg durch die Gänge wollte kein Ende nehmen, die Schreie klangen wild, das Stöhnen unmenschlich, es wurde immer düsterer, und von Sennar keine Spur. Schließlich gelangte sie zu einer Tür und wusste sofort, dass es die richtige war. Sie nahm ihre letzten Kräfte zusammen, warf sich dagegen und stürzte in die Zelle. Am Boden liegend sah sie in der Ecke einen Mann an den Armen aufhängt, seine Kleidung war zerfetzt und voller Blut, sein Körper mit Wunden übersät. Nihal schleppte sich zu ihm, zitternd angesichts seines erbarmungswürdigen Zustands. »Sennar, Sennar...«, rief sie unter Tränen, doch der Magier antwortete nicht. »Bitte, bitte Sennar... wir müssen hier fort...«
Als sie ihm über die Wange streichelte, hob er langsam den Kopf, und Nihal sah, dass auch sein Gesicht mit Blutergüssen und Wunden übersät war, seine Augen aber waren unverändert, jene so hellen blauen Augen, die sie liebte.
Sennar deutete ein Lächeln an und bewegte seine Lippen und hauchte ihren Namen. Während um sie herum schon alles bebte und wankte, tastete Nihal nach ihrem Schwert, um Sennars Ketten zu durchschlagen, fand jedoch nur die leere Scheide an ihrem Gürtel. Die Waffe lag noch in dem Saal, in dem sie den Tyrannen erstochen hatte. In Gedanken schon ganz bei der Suche nach Sennar, hatte sie sie dort vergessen. Sie blickte sich um und fand einen schweren Stein, der möglicherweise als Sitz diente. Den hob sie auf und schlug mit aller Gewalt damit auf die Ketten ein, die tatsächlich zerbrachen. Sennar sackte zu Boden, während fast gleichzeitig die Wände zu zerbrechen und zu zerfallen begannen. Nihal hob ihn an, legte sich seinen Arm um die Schulter und machte sich auf den Rückweg.
Mit allerletzten Kräften schleppte sich Nihal mit Sennar im Arm zwischen den wankenden Mauern die Treppe hinauf, kämpfte sich Stufe für Stufe aufwärts, dem Ausgang entgegen. Sie musste es schaffen. Sie würde ihren Traum nicht aufgeben, würde nicht verzichten auf das Glück, das ihnen zustand.
Sie fiel, rappelte sich wieder hoch,
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