Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
aus an, wurden jedoch schon bald immer steiler und ragten schließlich fast senkrecht auf. Die Gipfel waren wolkenverhangen und nicht zu sehen. Sogar Laio, der sonst nicht zu Schwarzseherei neigte, setzte angesichts dieses Bildes eine verzagte Miene auf.
»Schaut euch mal die Gipfel an!«, meinte Sennar. »Nach den schweren Wolken zu urteilen, scheint dort oben alles andere als gutes Wetter zu herrschen.« Nihal blickte besorgt zur Felswand. »Das kann Oarf kaum schaffen. Im senkrechten Flug ermüden seine Flügel viel schneller, und das üble Wetter macht alles nur noch schwerer ...«
»Wir haben aber keine andere Wahl«, entschied Sennar knapp. »Entweder wir fliegen mit Oarf hinauf, oder wir kraxeln unser ganzes Leben in diesen Bergen herum.« Abends schlugen sie am Fuß der Berge ihr Lager auf, und am folgenden Tag machten sie sich im Morgengrauen auf den Weg.
»Ich muss erneut sehr viel von dir verlangen, mein Oarf«, flüsterte Nihal ihrem Drachen ins Ohr. »Aber glaub mir, ich tue alles dafür, dass es das letzte Mal sein wird.« Oarf blickte sie stolz mit seinen roten Augen an und richtete sich in voller Größe vor ihr auf.
Nihal lächelte. Dann saßen sie alle auf, und der Drache erhob sich in die Lüfte. Zu Beginn lief alles normal. Mit ausgebreiteten Schwingen schwebte der Drache ohne große Kraftanstrengung dahin. Doch der schwierige Teil sollte noch kommen. Den ganzen Morgen glitten sie über die grasbewachsenen Hänge zu Füßen des Gebirges, bis sich mit einem Mal das Felsmassiv bedrohlich vor ihnen erhob und der eigentliche Aufstieg begann. Oarf konnte nicht mehr gleiten, sondern musste mächtig mit den Flügeln schlagen, um immer höher hinaufzukommen. Steiler und steiler wurde es. Nihal spürte, wie sich die Muskeln der Drachenflügel unter ihren Beinen anspannten. Sie lehnte sich zum Kopf des Tieres vor. »Komm, du schaffst es«, flüsterte sie Oarf ins Ohr, und der Drache gab alles.
Abends kampierten sie bereits in beträchtlicher Höhe. Laio kümmerte sich um den Drachen. Immer eisiger wurde der Wind und der Himmel immer düsterer. Noch bevor sie sich schlafen legten, begann es zu schneien.
»Das hat uns gerade noch gefehlt!«, seufzte Laio.
Drei Tage lang flogen sie immer weiter hinauf, und am Abend des dritten Tages schlugen sie ihr Lager direkt unter der Wolkendecke auf.
Als sie hoffnungsvoll nach oben blickten, konnten sie noch nicht einmal die Andeutung eines Gipfels ausmachen.
Am ersten Abend hatte Sennar bereits ein magisches Feuer zu entzünden versucht, damit sie sich ein wenig daran wärmen konnten. Doch es war zu schwach und ging gleich wieder aus, sobald der Magier eingeschlafen war. Und so waren sie gezwungen, sich, in ihre Umhänge eingehüllt, unter Oarfs Flügeln zusammenzukauern, um nicht zu erfrieren.
Am nächsten Tag wagten sie sich in die Wolken, und es wurde alles noch schwieriger. Der Wind war eiskalt, und durch das dichte Schneetreiben konnten sie weder etwas sehen, noch richtig atmen. Oarf gab sein Bestes, doch es ging immer noch senkrecht bergauf, und die Strecke, die sie tagsüber zurücklegten, wurde immer kürzer. »Vielleicht nimmt das überhaupt kein Ende mehr. Vielleicht fliegen wir immer höher hinauf und finden gar keinen Gipfel, und über den Wolken wohnen die Götter«, meinte Laio irgendwann, und Nihal verstand nicht, ob ihn der Gedanke schreckte oder erregte. Die beiden folgenden Tage flogen sie immer noch durch die Wolken, und als sie endlich daraus auftauchten und den Blick hoben, bot sich ihnen ein einzigartiges Schauspiel. Jetzt begriff Nihal, warum man diesen Ort zum Sitz des Heiligtums erwählt hatte. Es war ein Triumph des Lichtes. Die Sonne, die die Gipfel beschien, war von einer unglaublichen Helligkeit, und sogar der kobaltblaue Himmel schien zu strahlen, das Gletschereis reflektierte die Sonnenstrahlen und brach sie in unzählige blendende Farben. Soweit das Auge reichte, waren um sie herum Hunderte solcher Berggipfel, strahlender Fels überall. Diese Pracht, diese Schönheit, stimmte sie zuversichtlich und stärkte ihre Hoffnung, dass nun alles gut würde.
Obwohl das gleißende Licht nicht imstande war, Kälte und Wind abzumildern, fiel ihnen der letzte Teil des Weges leichter. Umgeben von den Gipfeln, die sich grau vor dem tiefblauen Himmel abzeichneten und über einem weißen, wattigen Wolkenmeer erhoben, flogen sie dahin, und Laio lehnte sich immer wieder weit vor, um einen Blick hinunterzuwerfen.
»Unter uns ist nur das Nichts!«,
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