Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
wenn du sonst Hilfe brauchst. Entweder alle oder keiner.« Nihal blickte Sennar fragend an.
»Je nachdem, wie die Lage ist, rennen wir wieder hinaus, und du gehst allein weiter«, schlug der Zauberer vor.
Hintereinander in einer Reihe bewegten sie sich auf den Palast zu, über dem in seltsam gewundenen Lettern, die schwer zu entziffern waren, das Wort »Glael« stand. Licht. Nihal blickte sich lange um und trat ohne Zögern mit gezücktem Schwert ein. »Folgt mir, aber lasst ein wenig Abstand«, forderte sie ihre Gefährten auf, doch Laio war schon an ihr vorbei und wollte hinein.
Sennar hielt ihn an einer Schulter zurück. »Offenbar kannst du es gar nicht erwarten, dich in Schwierigkeiten zu bringen«, meinte er mit säuerlicher Miene, »dennoch solltest du darauf hören, was dein Ritter dir sagt.«
Laio blickte ihn verärgert an, ordnete sich aber hinter Nihal ein.
Das Innere des Palastes war von geradezu erdrückender Pracht und überladen mit Gold und Verzierungen. Sie standen in einem weitläufigen Mittelschiff zwischen Säulenreihen, die das mächtige Gewölbe trugen. Es war zwischen den Rippen offen, sodass das Sonnenlicht, das durch die Kuppel drang, geometrische Muster auf den Fußboden zeichnete. Links und rechts waren kleinere Seitenschiffe mit zahlreichen Nischen, in denen Statuen standen. Alle waren beschriftet, jedoch mit Buchstaben, die Nihal nicht kannte. Die Darstellung eines imposanten Mannes erregte ihre Aufmerksamkeit. Er war groß und sein Blick stolz und ungezähmt. Aus einer Hand loderte eine Flamme auf, die er aber zu beherrschen schien, und in der anderen hielt er eine überlange Lanze.
Ohne sich über den Grund im Klaren zu sein, war Nihal fasziniert von dieser Gestalt und betrachtete sie eine Weile. Es kam ihr so vor, als seien die Augen des Mannes auf sie gerichtet, und ihr war, als rufe er nach ihr.
»Was ist los?«, hörte sie Sennars Stimme hinter sich.
Sie fuhr herum. »Nichts, nichts, alles in Ordnung.«
Nihal ging weiter und stellte fest, dass das Mittelschiff auf einen Altar zulief, der mit den goldenen Blättern einer Kletterpflanze dekoriert war. Auf einem hohen Sockel, von einem schmalen Lichtstrahl erfasst, ruhte der gesuchte Edelstein, der absonderlich leuchtete.
»Ist er das?«, fragte Laio gespannt.
»Ich glaube ... ja«, murmelte Nihal.
Sie war verwirrt. Sollte das alles so einfach sein? Gab es hier niemanden, der den Edelstein bewachte? Sie steckte das Schwert in die Scheide und trat auf den Altar zu. Da vernahm sie einen seltsamen Klang. Sie lauschte.
»Was ...?«, wollte Laio fragen, aber Sennar brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
Immer deutlicher erhob sich eine Art Gesang, der sich fast wie ein Schlaf-, ja, wie ein Kinderlied anhörte. Er kam nicht von einer bestimmten Stelle des Saales, er war überall, und es gab kein Echo, keine Tiefe in diesen Klängen. Es war, als gebe es diese bloß in ihren Köpfen, sodass sie sich gegenseitig fragend anschauten, um zu sehen, ob die anderen sie auch hörten.
Zunächst war der Gesang nicht klar zu verstehen, dann bildeten sich mehr und mehr Silben heraus, Worte, vielleicht Sätze. Der Sinn blieb unklar, doch in Nihals Ohren klangen die Worte ähnlich wie jene, die der Wächter im Heiligtum des Wassers an sie gerichtet hatte, oder wie die Formel, die sie selbst sprach, wenn sie einen Edelstein in den Talisman einfügte. Kein Zweifel, es war Elfengesang. Die Stimme eines Mädchens, traurig und aufwühlend.
»Wer bist du? Wer singt da?«, rief Nihal.
Die Stimme schwieg.
»Ich bin Sheireen, eine Halbelfe, Glael führt mich her«, rief Nihal mit lauter Stimme. Stille.
»Ich benötige die Kräfte des Edelsteins, um den Tyrannen zu besiegen, der sich vorgenommen hat, unsere Welt zu vernichten. Bewachst du den Stein?« Die Stimme begann wieder zu singen, doch nun nicht mehr in der Elfensprache, und ihre Worte waren zu verstehen.
Licht, mein Licht,
Wo ist mein Licht?
Die Schatten haben es verschluckt,
Aufgenommen in ihre finstere Brust.
Sonne, meine Sonne,
Wohin zog meine Sonne?
Die Nacht hat sie geraubt,
Hinabgezerrt in die Finsternis.
Leben, mein Leben,
Wo ist mein Leben?
Aus meinen Händen rann es,
verwelkte wie eine Blume im Gestrüpp.
Ein Lachen besiegelte den letzten Vers, und ein beunruhigendes Gefühl der Kälte schlich sich in Nihals Herz. Sie zog ihr Schwert, und das Ratschen des schwarzen Kristalls, der aus der Scheide glitt, hallte in der Stille nach.
Da ertönte ein Schrei:
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