Die Drachenkrone ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
sehe …« Wieder ließ er den Satz unvollendet. »Ist ja nicht so wichtig.« Er wandte sich zum Gehen, doch Rolana sprang auf und hielt ihn an seinem Ärmel fest.
»Ich komme gerne mit«, sagte sie und hauchte dann dem Schwertkämpfer einen Kuss auf die Wange. »Geh schon vor. Ich komme gleich.«
Völlig verwirrt sah Cay von Rolana zu Vlaros, dann wieder zu den beiden Bechern. Kopfschüttelnd wandte er sich ab und stieg langsam die Strickleiter hinunter. Auch Vlaros erhob sich und nahm von Rolana Abschied.
»Wir reiten bei Sonnenaufgang. Wirst du da sein, oder verlässt du deine Gefährten, ohne dich zu verabschieden?«
Sie spürte, wie er sich wand, doch dann senkte er den Blick und versprach, rechtzeitig auf der Lichtung zu sein. Mit verschlossener Miene kletterte er die Leiter hinunter und ging dann zwischen den alten Bäumen hindurch auf den steil ansteigenden Hügel zu, nahe dessen Spitze Galadins Höhle lag. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet, doch er nahm seine Umgebung gar nicht wahr. Sein Herz lag wie ein kalter Fels in seiner Brust, und irgendetwas in ihm wand sich in Pein. Zum ersten Mal in seinem Leben zweifelte er, ob der gewählte Weg der rechte sei. Er würdeein brillanter Magier werden, an dessen Lippen voll Bewunderung eine Schar Schüler hing. Diese Zukunftsvision begleitete ihn, seit er den kurzen Kitteln entwachsen war, und doch schob sich nun immer hartnäckiger das Bild einer trauten Familie vor seinen Lebenstraum: sein prächtiges Weib mit herrlich schwarzem Haar, ein stolzer Sohn, der voll Bewunderung zu ihm aufsah, ein weißer Marmorbau, den er sein Eigen nennen durfte. Er sah Rolana wieder vor sich, wie sie in den furchtbaren Grüften ohne Angst zwischen all den untoten Ungeheuern stand, die Arme erhoben, ein seltsames Glitzern in den Augen, der magische Wind in ihren Haaren. Diese von der Macht ihres Gottes getragene Erscheinung wollte einfach nicht in seine Vorstellung eines ruhigen Familienlebens passen.
Doch an Cays Seite passt sie erst recht nicht, grollte eine Stimme tief in ihm, nicht zu diesem Bauernlümmel, dem noch immer der Mistgeruch seiner einfachen Herkunft anhaftet.
Und wie steht es mit deinem Stallgeruch?, erwiderte eine andere Stimme und lachte voller Häme. Meinst du, sie zieht den Gestank von faulendem Tang und altem Fisch vor?
Viele Jahre hatte er die Erinnerungen an seine Herkunft erfolgreich aus seinen Gedanken verbannt, doch nun stürzten sie voller Macht auf ihn ein, und wieder empfand er diese tiefe Scham, die ihn seine ganze Kindheit begleitet hatte.
Das Häuschen des Fischers ist ärmlich und schmutzig und viel zu klein für die Familie, die inzwischen vierzehn Mäuler zählt. Die Familie Rübelof lebt in einem kleinen Weiler am Ufer des Adasees, kaum zwanzig Meilen vor den Toren der weißen Stadt, und doch lebt sie in einer änderen Welt. Der See bestimmt das Leben der Menschen hier. Jeden Tag, noch bevor der Morgen graut, stehen der Vater und die älteren Brüder auf und lassen das Boot zu Wasser, in der Hoffnung auf gnädig gestimmte Götter, die ihnen die Netze füllen. Es ist eine harte Arbeit, und selten ist der Fang so groß, dass es sich lohnt, ihn gleich in die Stadt zu bringen. Meist fährt der Vater nur einmal in der Woche auf den Markt nach Adahorn und nimmt den frischen Fang des Morgens und die gesalzenen Fische der Vortage mit. Oft darf Vlaros ihn begleiten. Stolz wie ein König sitzt der Junge hinten im Wagen und träumt von weißen Palästen, goldenen Kuppeln und schlanken Türmen. Es sind die schönsten Stunden in Vlaros’ Kindheit. Zu Hause gibt es nur Schmutz und Armut. Elf Geschwister zählt Vlaros, bis zu dem Tag, als die beiden ältesten Brüder bei Sturm im See ertrinken. Danach wird alles noch schlimmer. Vater bringt immer weniger Fisch mit nach Hause, und Mutter kauft von den wenigen Kupfermünzen im Beutel heimlich scharf riechenden gebrannten Wein und betrinkt sich, wenn der Vater auf dem See draußen ist. Sie weint und gibt sich der Trauer um ihre verlorenen Söhne hin, und dabei vergisst sie ihre anderen Kinder. Wenn Vlaros an diese Zeit denkt, dann spürt er auch noch Jahre später den quälenden Hunger, fühlt das Jucken des Ungeziefers in seinen schmutzigen Haaren und hat den Geruch fauler Fische und ranzigen Fetts in der Nase. Wenn der Vater die Mutter beim Trinken erwischt, dann schlägt er sie.
»Du stürzt unsere Familie ins Unglück«, schreit er. »Sieh dir nur die Kinder an, vernachlässigt, verschmutzt und
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