Die Drachenlanze (Die Saga von den drei Königreichen) (German Edition)
seien und wer diese Frauen wären. Doch Daaria winkte ab und deutete auf die kräftige Figur vor ihnen. „Sie wird dir alles erläutern.“
Nach unzähligen Stufen, die Nods Kopfschmerzen erneuert hatten und ihm das Gefühl gaben, dass seine Oberschenkel brennten, waren sie auf der Spitze des Turmes angelangt. Ein atemberaubender Blick umgab sie. Im Westen und Süden sah Nod eine Ansammlung hoher Berge, deren Spitzen mit Schnee bedeckt waren, im Osten flachte das Land ab und im Norden sah man weit entfernt auf die Ebenen und Moore de s Hochlands. Als Nod aber genau in Richtung Westen schaute, sah er einen weiteren Turm, der aus dem grauen Rand der Baumkronen hervorstach. Und im Südosten gab es einen weiteren Turm.
„ Dies sind die Türme des Tha’niam, Wächter gegen das Übel. Kein Mensch, der außerhalb des Gebirges lebt, hat sie jemals gesehen.“
Nod schluckte. Tatsächlich waren die Türme zwar riesig, aber sie lagen so, dass man in der Tie febene keinen Blick darauf werfen konnte, dazu waren sie zu tief im Gebirge. Tausend Fragen schossen ihm durch den Kopf. Hal’feira fuhr fort: „Wir Daei’i sind die Wächter des Tha’niam und diese Türme sind unsere Pferde. So ist das ganze Land sicher.“ Nod warf ein: „Aber vor wem wollt ihr das Land denn beschützen? Wer würde denn mit einer Armee hier einfallen wollen?“ Dass es hier viel zu kalt sei und unwirtlich, sagte er lieber nicht. Hal’feira lächelte ihn an. „Wir haben keine Angst, dass jemand reinkommt. Wir wollen nur, dass niemand hinauskommt.“
62. Birkesund
etill hatte immer gedacht, dass Throndje die größte und schönste Stadt auf der ganzen bekannten Welt sei. Er war in Throndje aufgewachsen, hatte die sich vom dunkelblauen Meer absetzenden Häuser vor dem Abendrot leuchten sehen, hatte den Königspalast mit seinen Steintürmen, Hallen und verwinkelten Gängen durchschritten, war durch den nach Abenteuer riechenden Hafen gegangen und hatte Schiffe aus Ankilan, Aquist und Syrah bewundert. Und immer hatte er gedacht, dass es nichts Größeres oder Schöneres geben könnte.
Doch damals hatte er Birkesund noch nicht gekannt.
Sie hatten m orgens den Jakefjord, der südlich der Stadt lag, umquert, hinter dem in trübem Rosa die Giebel und Dachfirste der Stadt auftauchten, die im Dunst sanft schimmerte. Das Land vor der Stadt war saftig und grün gewesen, die Bäume hoch und stark und die Stadt schmiegte sich wie ein schlafendes Kind in diese Landschaft – die Holzhäuser üppig und mit kräftigen Farben bemalt, hinter der Insel, die vor dem Hafen lag, war ein Sammelsurium buntester Segel zu sehen, die von Besuch aus fernsten Ländern zeugten.
Die Häuser der Menschen aus Birkesund waren auffällig geformt – die Dächer schmal und steil nach oben laufend, von einer flachen Holzplatte bedeckt, so dass sie aussahen wie hochgewachsene Pilze. Bei genauerem Hinsehen sah Ketill ähnliche Muster und Verzierungen wie an den Häusern der Wolfinger – nur dass das meistgewählte Motiv der für die Menschen aus Drauhala urtypische Drache war. Eirik stand mit weit offenem Mund neben ihm und Stikle brummelte etwas Abwertendes in den Bart. Seine Abneigung gegen die Leute aus Drauhala saß tief und fest. Ketill blickte auf seinen Vater und er wusste, dass die Abneigung daher rührte, dass diese Stadt offensichtlich so prunkvoll und prächtig anzusehen war.
Die Stadt selb st verfügte über keine Wehranlagen, was Ketill verwunderte. Alleine die Insel, die vor der Stadt lag, war von einer Mauer umgeben, aus der vier Türme herausragten. „Das ist seltsam“, murmelte Ketill, „warum schützen sie die Stadt nicht, sondern die Insel?“
„Noch nie hat Birkesund eine Belagerung erfahren müssen. Sollte dies jemals der Fall sein, dann sind die Bewohner vorbereitet.“
Aswin, der Birkebener, deutete mit dem Finger auf die Festung auf der Insel. „Die Birkesunder ziehen sich entweder ins Hinterland zurück oder in die Festung. Von dort aus können sie jedem Belagerer standhalten.“
Ketill wunderte sich gleich doppelt: zum einen, dass Aswin ihm so freizügig über die Verteid igungsstrategie seines Volkes erzählte, wo er, Ketill, doch ein potentieller Feind war, zum anderen, dass er von sich aus das Wort ergriffen hatte. Wahrscheinlich war er froh, wieder zuhause zu sein, was ihn gesprächiger machen musste als üblich. Ketill nickte anerkennend. „Eine imposante Stadt.“ Aswin fiel in sein Schweigen zurück, lächelte jedoch angesichts
Weitere Kostenlose Bücher