Die Drachenperle (German Edition)
zum Reden bringe oder nicht! Als sein Verfolger auftauchte, sprang Taiki ihn an, drückte ihn mit dem linken Unterarm an die Hausmauer und hielt den Dolch an dessen Kehle.
„Warum verfolgt Ihr mich?“
Seine Hand zitterte vor Aufregung, er hatte noch nie einen Menschen derart bedroht. Als der Dolch dem Mann die Haut über der Kehle leicht ritzte, hätte Taiki sich fast erschrocken entschuldigt. Stattdessen versuchte er aber, noch ein wenig grimmiger auszusehen.
„Also, was ist Euer Begehr? Sprecht!“
Der Mann hob beschwichtigend die Hände. „Bitte verzeiht meine Aufdringlichkeit. Aber ich musste Euch folgen, vielleicht seid Ihr der, den ich so dringend suche. Ich will Euch nichts Böses. Würdet Ihr bitte eure Waffe von meinem Hals entfernen?“
Taiki war sich unsicher, was er tun sollte. Er trat einen Schritt zurück und hielt den Dolch mit beiden Händen vor sich, den Verfolger genau im Auge behaltend.
„Also, nochmal, was wollt Ihr von mir?“
Jolim räusperte sich. Jetzt nur nichts Falsches sagen, dachte er.
„Lasst uns doch woanders reden, nicht hier in der Gasse. Und bitte, nehmt jetzt Euren Dolch runter und steckt ihn weg. Ein Büttel könnte Euch, da Ihr hier ein Fremder seid, leicht für einen Schurken halten, der einen harmlosen Bürger überfällt.“
Taiki willigte ein. Mit der Obrigkeit wollte er nichts zu schaffen haben. Als sie aus der dunklen Gasse heraustraten , ins Licht der tiefstehenden Sonne, erkannte er ihn als den Mann, den er am Vormittag angerempelt hatte.
„Jetzt erkenne ich Euch wieder! Zürnt Ihr mir immer noch wegen Eures Fußes? Wollt Ihr etwa eine Entschädigung?“
Jolim winkte ab. „Natürlich nicht. Ich möchte Euch nur eine Frage stellen: Wie lautet der Name Eurer Mutter?“
„Ihr fragt nach meiner Mutter?“ Taiki war fassungslos. „Ich kenne ihren Namen nicht.“
Jolim hakte nach. „Aber Ihr könnt sie mir doch sicher beschreiben? Ihr Haar, ihre Augenfarbe, ihre Stimme?“
Für einen kurzen Moment schaute Taiki betroffen zu Boden. Er konnte seine Traurigkeit nicht gut verbergen, als er antwortete.
„Ich habe keine Erinnerungen an sie. Sie starb, bevor ich mein erstes Lebensjahr vollendete. Ich weiß nur, was man mir über sie erzählte. Dass sie wunderschön gewesen sei und heilkundig. Man nannte sie Lilia, weil sie wohl nach weißen Berglilien duftete. Ihre n wahren Namen hat sie nie verraten.“
Jolims leise Hoffnung, dass Aurelia vielleicht doch noch am Leben sei, zerstob.
„Wie alt seid Ihr?“
„Ich bin im sechzehnten oder siebzehnten Lebensjahr, so genau weiß ich es nicht.“
Es ist nicht zu glauben, Mareika hat wahr gesprochen und nicht wirr, dachte Jolim genauso erleichtert wie verblüfft.
„Ich glaube, junger Mann, Ihr seid wirklich der, den ich finden soll. Oh, entschuldigt bitte meine Unhöflichkeit! Mein Name ist Jolim, ich bin der Diener Mareikas, der Ersten der Ältesten des Hohen Rates. Sie hat mich ausgeschickt, weil sie jemanden erwartet. Sagt, warum seid Ihr hier in der Stadt? Wolltet Ihr zum Sommerfest?“
„Nein, vom Fest habe ich erst unterwegs erfahren. Ich bin auf der Suche nach meiner Familie, meiner Herkunft. Man sagte mir, dass ich zu den Heilern der Berge gehöre. Hier will ich meine Suche beginnen.“
„Kommt. Kommt mit mir.“ Jolim war jetzt sehr aufgeregt und zerrte Taiki am Ärmel mit. „Lasst uns in das Haus der Ältesten gehen.“
„Ich verstehe nicht ganz. Wieso fragt Ihr nach meiner Mutter?“
„Meine Herrin soll Euch alles erklären. Kommt, ich lade Euch im Namen Mareikas und Lydias ein, im Haus der Ältesten zu nächtigen.“
Taiki zuckte mit den Schultern und folgte dem Diener hügelaufwärts zum Haus, das oberhalb der Stadt lag. Er dämpfte seine aufsteigende Erregung. Das konnte ja nicht sein, dass diese Leute etwas über seine Familie wussten. So leicht konnte es nicht sein.
Lydia konnte es nicht mehr hören, dieses Gerede ihrer Mutter von einem Urenkel. Warum jetzt, nach so vielen Jahren ? Aurelia war eines Tages nicht mehr heimgekehrt, was ihrem Mann das Herz gebrochen hatte und ihr selbst die Seele zerrissen. Wäre doch auch nur mein Herz zerbrochen. Aber dieses dumme Ding hält mich unbarmherzig am Leben, dachte sie. Seit dem unglückseligen Tag damals, als Aurelia und ihre Freundinnen für immer spurlos verschwanden, war in ihr alles Licht und alle Farbe erloschen. Nur noch Grau, Grau, Grau.
Farbe und Freude fand sie nur noch in der dinglichen Welt vor, in den Teppichen und Stoffen,
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