Die Drachenreiter von Pern 09 - Drachendämmerung
konnte das Lager nicht mehr weit sein. War der Steinhügel, an dem sie eben vorübergekommen war, der erste oder der zweite? Sie stolperte, und Duke schrie erschrocken auf, ein schrilles, durchdringendes Kreischen, als litte er Höllenqualen; so hatten einst die Pfauen auf der Farm ihres Vaters geschrien. Der kleine Kerl stieß herab und zerrte energisch an ihrer Schulter, als könne er sie stützen.
Sein Geschrei hatte die Schläfer geweckt. Als erster rappelte sich Jim Tillek auf und machte, die Füße noch in den Schlafsack verwickelt, ein paar Schritte. Pol und Bay wurden erst munter, als sie Sorka erkannten.
Ohne Tilleks erregte Fragen und seine hilfreich ausgestreckten Hände zu beachten, stolperte Sorka auf die rundliche Mikrobiologin zu, ließ sich erschöpft auf die Knie fallen und zerrte ungeschickt an ihrem Pullover, um das Ei zu befreien, denn sie spürte, wie die Schale den ersten Riß bekam.
»Hier! Das ist für Sie, Bay!« keuchte sie, packte die Hände der erstaunten Frau und legte sie um das Ei.
Bays erste Reaktion war, es zu Sorka zurückzuschieben, aber das Mädchen war schon auf die Vorratssäcke zugestürzt und bemühte sich verzweifelt, ein Paket mit Proteinriegeln zu öffnen und einen davon in winzige Stücke zu brechen.
»Es reißt auf, Sorka. Pol! Was soll ich machen? Es bekommt überall Sprünge!« rief Bay unsicher.
»Es gehört Ihnen, Bay, ein Tier, das nur Sie lieben wird«, keuchte Sorka und kam mit vollen Händen zurückgetaumelt. »Er schlüpft gerade aus. Es wird Ihnen gehören. Hier, füttern Sie es damit. Pol, Kapitän, suchen Sie unter dem Seetang nach Futter. Spielen Sie Bronzedrachen. Passen Sie auf, wie Duke das macht.«
Duke zerrte begeistert zirpend einen riesigen Seetangast von der Hochwasserlinie her.
»Sie müssen den Seetang bündeln, Pol«, sagte Tillek Augenblicke später und zeigte es ihm.
»Es ist offen!« schrie Bay, halb ängstlich und halb entzückt. »Da ist ein Kopf! Sorka! Was soll ich jetzt tun?«
Zwanzig Minuten später fielen die ersten Sonnenstrahlen auf das müde, aber aufgeregte Quartett. Bay wiegte mit seligem, ungläubigem Lächeln einen reizenden goldenen Zwergdrachen auf dem Unterarm. Der Kopf lag wie ein Schmuckstück auf ihrem Handrücken, die Vorderarme umfaßten locker ihr Handgelenk. Der dick angeschwollene Bauch wurde von Bays gut gepolstertem Arm gestützt, die Hinterbeine hingen an beiden Seiten des Ellbogens herab, und der Schwanz war lose um ihren Oberarm geschlungen. Ein leichtes Geräusch, fast wie ein Schnarchen, war zu hören. Von Zeit zu Zeit streichelte Bay das schlafende Wesen. Staunend betrachtete sie die weiche Haut, die kräftigen und doch zierlichen Klauen, die durchsichtigen Flügel und den kräftigen Schwanz des Neugeborenen. Immer wieder fand sie etwas Neues, das ihr Entzücken erregte.
Jim Tillek schürte das Feuer und brachte etwas Warmes zu trinken, denn vom Meer her wehte ein kühler Wind.
»Ich glaube, wir sollten zum Nest zurückgehen, Pol«, sagte Sorka, »um zu sehen, ob… ob…«
»Einige es nicht geschafft haben?« ergänzte Jim. »Erst mußt du etwas essen.«
»Aber dann ist es zu spät.«
»Wahrscheinlich ist es jetzt schon zu spät, kleines Fräulein«, erklärte Jim entschieden. »Es war schon eine großartige Leistung, daß du uns die goldene Echse gebracht hast. Das ist die höchste Form der Gattung, nicht wahr?«
Pol nickte und betrachtete scheinbar gelassen Bays schlafenden Schützling. »Ich glaube, von den Biologen hat noch niemand so ein Exemplar. Ironie des Schicksals.«
»Die eigenen Leute sind immer die letzten, wie?« fragte Jim und zog spöttisch die Augenbrauen hoch, grinste aber dabei. »Ach, wen haben wir denn da?« Er zeigte mit seiner langen Kochgabel auf die Gestalt, die von Westen herangestapft kam. »Er hat etwas bei sich. Kannst du es mit deinen jungen Augen besser erkennen, Sorka?«
»Vielleicht bringt er noch mehr Eier, dann bekommen Pol und Jim auch eines.«
»Für so uneigennützig halte ich Sean eigentlich nicht, Sorka«, bemerkte Pol trocken. Sie errötete. »Nein, nein, Kind, das soll keine Kritik sein. Es hat eben nicht jeder die gleiche Einstellung und das gleiche Temperament.«
»Er trägt etwas, es ist größer als ein Ei, und seine beiden Drachen sind sehr aufgeregt. Nein«, verbesserte sich Sorka, »Sie sind verstört!«
Duke stellte sich auf ihrer Schulter auf die Hinterbeine und stieß einen schrillen Klageschrei aus. Sie spürte, wie er in sich
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