Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
gesellte sich ein zweiter Gedanke hinzu.
„Wir können hier drin nicht sterben.“
Und sobald er diese Erkenntnis gehabt hatte, wusste er, dass er es schaffen musste, aufzustehen.
„Steh auf!“, dachte er zu sich selbst.
„Steh auf!“, dachte er zu seinem Spiegelbild.
„Steh AUF!“
Und dann konnte er sich dem nicht mehr entziehen. Das Einzige, was er jetzt tun konnte, war, dem Gedanken zu folgen. Er stand auf und ließ die Welle des Schwindels, der Angst und der Hoffnungslosigkeit über sich kommen. Und dann wusste er es. Es kam überhaupt nicht infrage, dass er seinen Freund sterben ließ. Er musste einen Ausweg finden.
Er begann zu laufen. Er rannte den Korridor hinunter, ohne darüber nachzudenken, was die richtige Öffnung war oder die richtige Richtung an den Weggabelungen. Er rannte einfach in einer Art Zickzack durch das riesige Labyrinth. Zweimal hörte er das Heulen in der Ferne, doch er rannte weiter. Bis er plötzlich ins Nichts trat. Der Boden war verschwunden. Aus reinem Instinkt heraus breitete er seine Flügel aus und flog hinüber auf etwas, das eine Plattform zu sein schien, in einer großen, kuppelähnlichen Struktur, die nur an den Seiten Spiegel hatte und sich um einen großen, leeren Raum wölbte.
„Das muss die Mitte sein, zu der alle Gänge führen“, dachte er bei sich. Aber da war noch etwas. Irgendetwas hatte er übersehen. Er konnte nicht genau sagen, was es war, aber er war sich sicher, dass ihm eine entscheidende Information entgangen war. Bevor er diesem Gedanken weiter nachgehen konnte, sah er plötzlich das große Bild einer Wölfin auf einem der Spiegel. Sie sah an ihm vorbei in einen der Flure hinein. Als Joshua ihrem Blick folgte, sah er Grau am anderen Ende des Flurs. Zuerst verstand er nicht, was geschah, doch dann sah er, dass der Wolf auf das Bild zurannte. Mit voller Geschwindigkeit und langen Sprüngen raste er den Korridor entlang, auf Joshua zu...
„NEIN! Grau, NEIN!“ Er schrie in seinen Gedanken und krähte laut. Aus reiner Verzweiflung flog er hoch in die Luft und auf den Wolf zu. Er schaffte es, auf die andere Seite zurückzufliegen und bemerkte die matt glänzenden Überreste von Tierknochen weit unter ihm.
„Grau, halt!“ Joshua rannte und flog auf Grau zu, der ihn jetzt erst zu bemerken schien. „DAISTEINRIESIGESLOCHIMBODENDUMUSSTANHALTEN!“
Joshua sah, wie der Wolf auf sein Flehen reagierte und versuchte zu bremsen. Doch der Stein war zu rutschig und beiden wurde klar, dass er nicht rechtzeitig würde anhalten können.
„Du musst springen!“, schrie Joshua in seinen Gedanken, während er aufflatterte und den Wolf unter sich durchlaufen ließ auf das große Loch zu. Als er seinen Kopf drehte, sah er, wie Grau wieder schneller wurde und sprang...
In diesem Moment wurde alles in Joshua still. Es war, als bliebe die Zeit stehen. Joshua sah, wie der Wolf sich in der Luft streckte, um den Graben zu überbrücken. Er sah seinen grauen Pelz und seine beinahe weißen Pfoten. Er sah seine Ohren, die flach am Kopf anlagen, und seine gefletschten Zähne, doch hinter alldem sah er den unbändigen Wunsch des Wolfs zu leben, das Versprechen zu erfüllen, das er seiner Gefährtin gegeben hatte, ein erfülltes Leben zu leben, am Leben zu sein.
Plötzlich wurde Joshua überwältigt von einem heftigen Gefühl der Liebe zu dem Wolf und zu allem, was ihn ausmachte. Es war eine Liebe zwischen Brüdern, die die Distanz zwischen ihnen überbrückte und beide umschloss. Und er konnte seine Gefühle nicht länger für sich behalten. Er krähte einen lauten Hahnenschrei, der alles in sich trug, was er in diesem Augenblick fühlte – all seine Überzeugungen, alles von sich selbst, seine Vergangenheit, seine Gegenwart und das, was er zu werden hoffte.
Während er krähte, sah er, wie die Spiegel sich bewegten. Eigentlich war es eher ein Krümmen. Wie ein See, in den ein Kieselstein gefallen war, warfen die Spiegel plötzlich Wellen, die sich von innen nach außen ausbreiteten. Und als der Wolf auf der anderen Seite des Grabens landete, entstand ein ohrenbetäubender Lärm, als die Spiegel – ALLE Spiegel – implodierten. Unzählige winzige Teilchen fielen zu Boden und produzierten einen einzigen Missklang aus dem Geräusch zerspringenden Glases, während Joshua über den Abgrund flog.
Als er auf der anderen Seite landete, wurde ihm plötzlich klar, was die fehlende Information gewesen war, an die er sich vorher nicht mehr hatte erinnern können. Die große
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