Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
Grau?“, dachte er in den leeren Flur hinein. Plötzlich fühlte er sich gefangen. Es war wohl besser zurückzugehen. Er machte kehrt und lief los, in die Richtung, aus der er gekommen war, und wo die Öffnung hätte sein sollen. Doch er ging mindestens fünfzehn Minuten lang, bevor ihm klar wurde, dass er sie wahrscheinlich übersehen hatte. So ging er wieder zurück und suchte beide Seiten der verspiegelten Wände nach einer Öffnung ab. Zu seiner Überraschung mündete der Flur schon nach wenigen Minuten in einen anderen Korridor. „Das kann nicht sein“, dachte er.
Als er den langen Gang hinunterblickte, wurde ihm klar, dass er sich verlaufen hatte. Er hatte keine Ahnung, wo er war oder wohin er sich wenden sollte. „Grau, wo bist du?“ Er bezweifelte, dass seine Gedanken den Wolf erreichen würden.
„Grau!“ Selbst seine eigenen Gedanken schienen hier ein grausiges Echo zu haben. Ohne auf eine Antwort zu warten, begann Joshua zu laufen. Hier zu warten, war das Letzte, was ihm und seinem Freund jetzt helfen würde. Als er über den kalten schwarzen Steinboden ging, versuchte er, so gut es ging, seinem Instinkt zu folgen. Das Labyrinth schien viel größer zu sein, als er sich es vorgestellt hatte. Nach einer gefühlten Ewigkeit sah er plötzlich etwas auf der anderen Seite eines weiteren, scheinbar endlosen Korridors. Er beschleunigte seinen Schritt, denn er vermutete eine Art Zeichen, wohin er sich als Nächstes wenden konnte. Doch als er näher kam, sah er, dass es ein Skelett war. Ein kleines Tier, vielleicht ein Fuchs oder etwas in der Art. Seine Knochen lehnten an der Spiegelwand, als hätte er im Tod nach Trost gesucht.
Bisher war Joshua noch voller Hoffnung gewesen, einen Ausweg zu finden, doch diese Hoffnung schwand rasch. „Ich werde hier drin sterben“, dachte er. Ein Gefühl der Trostlosigkeit überkam ihn mit der Einsicht, dass sein Tod qualvoll sein würde. Er konnte es einen oder zwei weitere Tage ohne Wasser schaffen, aber dann würde er schwächer werden und bald müsste er sich hinlegen und schließlich nur noch warten, bis der Tod ihn holen kam.
* * *
Das Heulen war so laut, er hätte schwören können, es sei direkt neben ihm. Er schreckte hoch und krähte laut.
„Wo bist du?“ Schwach erreichten ihn Graus Gedanken. Er konnte sich nicht erinnern, jemals in seinem Leben etwas so Tröstliches gehört zu haben.
„Ich bin hier. Ich bin gleich hier!“, antwortete er. Einen Augenblick lang sah er den Wolf in seinen Gedanken. Dann sah er durch die Augen des Wolfes in den Spiegel und erkannte seine Gefährtin, die auf ihn zukam. Kurz bevor sie Grau erreichte, traf sie ein tödlicher Pfeil in die Seite. Das Heulen ging wieder los.
„Grau, versuche, nicht an sie zu denken!“
„Ich kann nicht!“, antwortete der Wolf gequält.
Joshua sah die gleiche Szene immer wieder vor seinem inneren Auge.
„Bleib, wo du bist! Ich versuche, zu dir zu kommen!“ Joshua konnte den Schmerz des Wolfes spüren. Dadurch beflügelt rannte und flog er den Korridor hinunter und suchte nach einem Weg, um zu dem Wolf zu gelangen. Er bog zweimal rechts ab und hatte das sichere Gefühl, sich jetzt daran zu erinnern, wo er sich befand. Doch nach zwei weiteren Abbiegungen und einer Sackgasse war er wieder ratlos. Er blieb nicht stehen, rannte lange Flure hinunter, bog wieder ab und wieder und wieder. Manchmal glaubte er, etwas weit vor sich zu sehen, aber wenn er dort ankam, war es wieder nur sein eigenes Spiegelbild in einer Sackgasse.
Er wanderte beinahe einen ganzen Tag lang durch das endlose Labyrinth. Einige Male hörte er das entfernte Heulen des Wolfes. Das brach ihm das Herz und er antwortete mit seinen eigenen Hahnenschreien, die schaurig durch die dunklen Gänge hallten. Er wusste nicht, ob er den Wolf jemals erreichen würde. Schließlich sank er einfach zu Boden, erschöpft und von Hoffnungslosigkeit überwältigt. Er betrachtete sich im Spiegel, sein Gesicht, seine Augen, seinen Schnabel. Er sah die Farben seiner Schwanzfedern und die rote Färbung seines Rückens und seiner Flügel. Lange saß er einfach nur da und starrte auf sein Spiegelbild.
Der Gedanke kam langsam, als näherte er sich aus seinem tiefsten Inneren. Zuerst war er leise und klein. Aber er gewann an Stärke und irgendwann wurde Joshua sich seiner bewusst.
„Es muss einen Ausweg geben.“
Schwach, aber beständig wurde der Gedanke stärker, und damit wurde er auch hoffnungsvoller. Und plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher