Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
Kuppel hatte kein Dach. Der Nachthimmel erleuchtete das zerspringende Glas und erzeugte unendlich viele Reflexionen des Sternenlichts. Joshua und der Wolf sahen zu, wie die Glasteilchen auf dem Boden aufprallten, doch anstatt sich zu verteilen, begannen sie zu schmelzen. Wo die Spiegel gestanden hatten, waren nun Kanäle und all das zerbrochene Glas floss dort hinein. Die Flüssigkeit in der Farbe von silbrigem Glas spiegelte das Mondlicht und strahlte einen goldenen Glanz aus.
Plötzlich war alles ruhig. Matt leuchtendes Licht zeichnete geometrische Muster in den Boden – soweit sie es erkennen konnten, das Muster des riesigen Labyrinths, das sich weit in die Nacht erstreckte. Joshua und der Wolf waren von Ehrfurcht ergriffen. Zitternd standen sie in der Mitte der Plattform und konnten kaum fassen, was um sie herum geschah. Die Schönheit des Musters aus strahlendem Licht bildete einen scharfen Kontrast zu der Gefahr, der sie gerade so knapp entkommen waren.
„Wir haben es geschafft“, dachte der Wolf. „Ich weiß nicht wie, aber wir haben es geschafft. Was auch immer du getan hast, es hat funktioniert.“
„Ich habe eigentlich gar nichts getan“, antwortete Joshua.
„Doch, das hast du. Du hast mich davor bewahrt, in den Tod zu stürzen. Der Schmerz, meine geliebte Gefährtin immer und immer wieder sterben zu sehen, hat mich für alles andere blind gemacht.“
Joshua konnte die Qual immer noch in den Wolfsaugen sehen.
„Ich bin nur froh, dass es vorbei ist“, dachte Joshua.
„Ich auch“, antwortete der Wolf.
„Dann lass uns diesen Ort auf der Stelle verlassen“, gab Joshua zurück.
„Einverstanden.“
Als sie sich umsahen, entdeckten sie einen Pfad aus schwarzem Stein, der über den nun vollständig mit flüssigem Glas gefüllten Graben hinweg nach Nordwesten führte. Als sie den Graben überquerten, fragte Joshua sich unweigerlich, wie viele Tiere wohl dort unten ihr Leben gelassen hatten.
Sie beschlossen, dem breitesten Fluss zu folgen, da er aus dem Irrgarten herauszuführen schien. Während sie ihn entlanggingen, flossen die anderen Kanäle nach und nach in ihn hinein, bis sie sich außerhalb der geometrischen Muster auf einem weiteren Weg aus schwarzem Stein wiederfanden. Das flüssige Glas floss daran entlang und strahlte einen goldenen Glanz aus, der kurz hinter ihnen, auf der anderen Seite des Weges, verblasste. Als sie durch die Nacht wanderten, konnten sie die dunklen Silhouetten von Hügeln vor dem Nachthimmel erkennen. Ab und zu führte der Steinpfad nah an großen, moosbedeckten Felsbrocken vorbei, deren seltsame Formen an Schlangenköpfe erinnerten. Manchmal konnte Joshua die Konturen langer, schlangenähnlicher Körper ausmachen, die mit den Köpfen verbunden waren. Sie mussten schon seit Ewigkeiten hier liegen, halb unter den Hügeln begraben. Uralte Wächter des Weges, auf dem sie gingen.
Es war unmöglich, tiefer in die Nacht hineinzusehen, denn der Glanz um den Pfad herum machte die Dunkelheit dahinter undurchdringlich. Doch nach einer Weile merkte Joshua, dass etwas hinter dem Lichtschleier lauerte.
„Grau.“
„Ja, ich kann es auch spüren.“
„Was mag das sein?“
„Ich bin mir nicht sicher. Aber was auch immer da hinter dem Schleier auf uns wartet, es ist nicht auf unserer Seite.“
Nach einer Weile hatten sie das Ende des Glasflusses erreicht. Er bewegte sich ein wenig langsamer als Joshua und der Wolf. Das Licht reichte ungefähr drei Meter in die Nacht hinein. Dort konnten sie dunkle Schatten erkennen, die Kreaturen gehörten, die Joshua noch nicht einmal in seinen Träumen begegnet waren, geschweige denn in Wirklichkeit. Sie schienen ihre Gestalt ständig zu ändern, während sie sich am Rand des Lichtes bewegten. Es schien, als würden sie von seiner Helligkeit gleichermaßen angezogen wie abgestoßen, denn sie konnten es nicht überwinden, um zu Joshua und Grau zu gelangen.
„Wenn wir innerhalb des Lichtkreises bleiben, sollte uns nichts passieren“, dachte Grau.
„Lass es uns hoffen“, dachte Joshua zurück.
Grau spürte die Angst in Joshuas Gedanken. Indem er mit ihm Platz tauschte, nahm er ihn in die Mitte zwischen die Nacht und den Glaskanal neben ihnen. Und so reisten Joshua und der Wolf im Schutze des Lichts eine Zeit lang, die auf der Oberfläche beinahe zwei Tage gewesen wäre. Ab und zu kam der Kanal an kleinen Flüssen vorbei, an denen sie ihren Durst stillen konnten. Joshua fand jede Menge Futter und Grau fing sogar einige Fische.
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