Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
ihm ebenfalls helfen.“
Sie glitten eine Weile schweigend dahin, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Wind dachte an die Orte ihrer Kindheit und einige Erinnerungen, die so lange tief in ihrer Seele vergraben gewesen waren, schlichen sich langsam zurück in ihr Bewusstsein. Es waren nur Bilder, allenfalls Bruchstücke, aber nichtsdestotrotz ein Teil des Ganzen, das im Laufe der Zeit an die Oberfläche kommen würde. Doch nicht alle Erinnerungen waren erfüllt von Licht und Lachen und einer sorgenfreien Jugend. Es gab auch dunklere, die noch tiefer verborgen gewesen waren und nun mit den anderen aufstiegen. Es würde eine Weile dauern, bis sie sich erlauben würde, alle hervorzuholen und zu durchforsten. Sie war sich sicher, dass die Rückkehr in die Stadt ihr dabei helfen würde.
„Du bist so still in letzter Zeit, Grau.“ Joshua warf dem Wolf, der ihm gegenüberlag, einen Blick zu. „Gibt es etwas, das dich beschäftigt?“
Grau hielt seinem Blick einen Augenblick stand. „Es hat sich etwas verändert, seit ich das Gesicht der Löwin im Turmzimmer gesehen habe.“
„Hat es etwas mit deiner Gefährtin zu tun?“, fragte Joshua.
„Ich denke schon. Seit ich die Löwin gesehen habe, habe ich das Gefühl, dass die Erinnerungen an meine Gefährtin näher gekommen sind und ihre Gegenwart in meinen Gedanken stärker geworden ist. Was ich in der Löwin gesehen habe, hat mich an sie erinnert und es brachte sie näher zu mir. Gleichzeitig scheint es jetzt mehr wehzutun. Als hätte es eine alte Wunde, die schon fast verheilt war, aufgebrochen und erneut den Elementen ausgesetzt. Ich fühle mich so gut wie lange nicht und gleichzeitig geht es mir viel schlechter. Indem ich dir das erzähle, merke ich erst, wie wenig Sinn ich gerade mache.“
Der Wolf wandte sich ab und sah zum Turm der Zuflucht hinüber.
„Ich glaube außerdem schon eine Zeit lang, dass das, was in dem Berg auf uns wartet, wahrscheinlich nicht das ist, wovon wir ausgehen. Möglicherweise finden wir dort Antworten, aber vielleicht bekommen wir sie nicht auf eine Art, die wir verstehen oder überhaupt wollen. Ich bekomme dieses ungute Gefühl, wenn meine Gedanken darum kreisen, und ich kann es nicht abschütteln. Ein Teil von mir denkt, wir sollten wegbleiben davon. Weit weg.“
„Ich weiß, was du meinst, Grau. Ich habe es auch gespürt. Und wenn du mir jetzt sagst, dass du der Meinung bist, wir sollten besser nicht dorthin gehen, werde ich auf dich hören. Wir können hierbleiben oder irgendwie versuchen, zurück an die Oberfläche zu kommen.“
„Es kann sein, dass wir den Eingang zum Berg gar nicht finden. Er wurde vor Jahrhunderten versiegelt und wer auch immer das getan hat, hat sicher dafür gesorgt, dass nicht jeder, der des Weges kommt, die Schwelle überschreitet. Ich denke, den Eingang zu finden, wird schwieriger als wir denken.“
Als Joshua darüber nachdachte, bemerkte er, dass die Schildkröte langsamer geworden war und sich nun fast gar nicht mehr bewegte, sondern im Wasser trieb.
„Warum halten wir an?“, fragte Joshua.
Er bekam keine Antwort.
„Vertraust du mir, Joshua?“, hörte er die Gedanken der Schildkröte.
„Ja“, antwortete er, ohne nachzudenken. „Ja, das tu ich.“
„Es tut mir sehr leid, dass ich dir das antun muss, aber ich habe mich gerade an etwas erinnert.“
Mit diesen Worten tauchte die Schildkröte plötzlich unter und ihr ganzer Körper verschwand im Wasser. Joshua hatte keine Zeit zu reagieren. Er fand sich im selben Augenblick halb unter der Wasseroberfläche, verzweifelt nach Luft schnappend. Er sank wie ein Stein. Über sich sah er die Silhouetten des Wolfs und der beiden Pferde. Er sah, wie Grau versuchte, ihn zu packen, aber er erreichte ihn nicht. Unter ihm war die Finsternis des Abgrunds und in einem Moment absoluter Panik wurde Joshua klar, dass er sterben würde und dass niemand etwas dagegen tun konnte.
Die Frage „warum?“ schoss ihm kurz durch den Kopf, doch bevor er diesem Gedanken folgen konnte, sah er plötzlich Alda vor sich.
„Joshua, schwimm an die Oberfläche“, befahl sie ihm.
„Ich kann nicht! Ich kann nicht schwimmen!“
„Du kannst es, Joshua!“
„Ich kann nicht! Hilf mir!“
„Ich helfe dir. Jetzt schwimm an die Oberfläche!“
„Ich kann unter Wasser nicht schwimmen. Du musst mir helfen oder ich ertrinke!“
Die Panik drohte ihn zu überwältigen. Er merkte, wie seine Kraft nachließ. Er musste sehr schnell etwas unternehmen, wenn er nicht
Weitere Kostenlose Bücher