Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
siehst.“
Joshua hob den Blick und deutete mit seinen Augen rechts hinter die Skulptur der Löwin. Die Decke zeigte tiefgrünes Weideland, durchzogen von Wäldern und dunkelblauen Flüssen. Grau betrachtete die Landschaft eine Weile. Und dann sah er sie. Sie stand am Ufer eines Flusses und stillte ihren Durst. Grau warf Joshua einen Blick zu, als könnte er nicht glauben, was er sah.
„Sieh hin“, dachte Joshua. „Trau deinem Blick.“
Der Wolf sah wieder zur Decke, und als er das tat, sah sie ihn. Sie sah zu ihm hinunter.
„Du hast mich gefunden“, flüsterten ihre Gedanken. „Du hast die uralten Jagdgründe unserer Vorfahren gefunden.“
„Ja“, dachte Grau. „Ja, ich habe dich gefunden.“
Grau sah zu Joshua hinüber. Er konnte in den Augen des Wolfs die Dankbarkeit sehen, die er fühlte, und dahinter die Liebe, die zwischen ihnen bestand.
„Geh“, dachte Joshua zu ihm. „Geh zu ihr.“
Grau nickte leicht. Sein Blick wanderte von Wind zu Krieg, zu Alda und dem Drachen und kehrte zu Joshua zurück.
„Vergiss mich nicht“, dachte er.
„Du wirst niemals vergessen sein“, antwortete Joshua.
Damit ließ sich der Wolf vor ihm nieder. Den Blick fest an die Decke geheftet, bettete er seinen Kopf auf den Boden. Seine Atemzüge wurden ruhiger. Und kurz bevor er die Augen schloss, sah der Große Wolf vom Eiswald Joshua ein letztes Mal an. Und Joshua war sich sicher, dass er lächelte. Dann verließ er seine irdische Hülle und verschwand. Sein Körper schien klein, wie er auf dem kalten Stein lag. Es war nur ein Fragment des einstmals großen Jägers, Kriegers und Freundes. Joshua blickte zur Decke hinauf. Und er sah ihn. Er sah, wie Grau in vollem Tempo über die Wiese preschte, durch das Unterholz und einen Hügel hinauf zu dem Fluss, wo sie auf ihn wartete.
„Bis wir uns wiedersehen“, dachte der Wolf zu Joshua.
„Bis wir uns wiedersehen“, dachte Joshua zurück.
Dann verloren sich die Gedanken des Wolfs und Grau und seine lang vermisste Gefährtin verschwanden gemeinsam im Wald und in die uralten Jagdgründe, die dahinter lagen.
* * *
Joshua verspürte einen Stich im Herzen, als sein Freund verschwand. Aber gleichzeitig konnte er nicht anders, als sich für ihn zu freuen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es so enden würde. Aber eigentlich wusste er auch nicht, was er stattdessen erwartet hatte.
„Er hat Frieden gefunden“, dachte Krieg zu ihm. „Einen Frieden, der sich ihm lange Zeit entzogen hatte.“
„Was ist mit dir, Krieg?“, fragte Joshua. Er war sich nicht sicher, warum er das fragte. „Hast du Frieden gefunden?“
„Ich glaube, ich bin ihm so nahe wie noch nie in meinem Leben“, antwortete er.
Ein Moment der Stille entstand.
„Du kannst noch weiter gehen“, dachte Wind leise zu ihm. „Fliegen zu lernen war sicher nicht das Ende. Deine Grenzen infrage zu stellen war nur der Anfang. Wenn du willst, zeige ich dir, wie du noch weiter gehen kannst und dann noch darüber hinaus.“
„Das würde mir gefallen“, erwiderte Krieg. „Aber ich weiß auch, was du dir wünschst.“
„Und zwar?“
„Ich will dich zu dem Ort deiner Kindheit begleiten und mit dir auf dem Boden stehen, auf dem du vor langer Zeit gegangen bist.“
„Ich werde euch dort treffen“, warf Alda ein.
„Und ich zeige euch den Weg“, fügte der Drache hinzu.
„Das ist dann ausgemacht“, dachte Joshua.
„Was ist mit dir?“, fragte Wind. Ihre Gedanken glichen einer Brise über Sommerfeldern.
Alle Blicke ruhten auf ihm. „Was wirst du tun?“, fragte Wind erneut.
Joshua wurde klar, dass er darüber nicht nachgedacht hatte. Auch die Federn hatte er vollkommen vergessen.
„Ich bin mir nicht sicher. Aber eins nach dem anderen“, antwortete er und flatterte auf die Steinsäule hinauf. Als er landete, bemerkte er erstaunt, dass dort nur zwei Federn lagen. Er war sich sicher, dass er in seinem Traum drei gesehen hatte.
„Da liegen zur zwei. Das verstehe ich nicht. Warum sind da nur zwei Federn? Wo ist die dritte?“ Er musste sehr verwirrt dreinschauen.
Der Drache trat einen Schritt nach vorne und senkte seinen Kopf zu Joshua hinunter.
„Sie erwachen normalerweise entweder am Ende oder zu Beginn eines jeden Zeitalters. An jedem der beiden Umkehrpunkte eines Pendels gibt es einen Suchenden und einen, der es wahrscheinlich wieder in die andere Richtung und zum Ausgleichspunkt hin schwingen lassen wird. Es gab zwei vor dir, Joshua. Zwei Federn. Zwei
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