Die drei Frauen von Westport
Los geht’s. Mach dich ansWerk. Schon, aber an welches? Mit leerem Blick starrte sie weiterhin auf das rostfarbene R otkehlchen. Und wer sollte sie sein in diesem neuen Leben?
Es gab eine Kanne Tee zum Tee bei Tante Charlotte, aber kaum etwas anderes. Ein paar Cracker. Ein kleines Stück trockenen Käse. Betty war froh, dass sie den Kuchen von Balducci’s mitgebracht hatte. Die Gojim, erklärte sie ihren Töchtern, bewirten ihre Gäste nicht; das ist bei ihnen nicht Brauch, und wir sollen die Bräuche anderer Kulturen achten, aber deshalb müssen wir ja nicht darben. Betty hatte immer Cracker und Life-Saver-Bonbons in ihrer Handtasche für den Fall einer Unterzuckerung, aber die wollte sie nicht unbedingt zu einer Teeeinladung mitbringen. Der Kuchen dagegen … niemand konnte etwas dagegen einwenden, wenn Gäste einen leckeren Streuselkuchen überreichten. Miranda und Annie hatten sich zunächst über ihre Mutter lustig gemacht, aber als Betty nun Miranda dabei zusah, wie sie versuchte, ein Stück von dem gummiartigen Käse abzuschneiden und es dann auf einem schlaffen Cracker zu platzieren, fühlte sie sich bestätigt.
Charlotte Maybank schien ebenfalls angetan von dem Kuchen. Sie war eine kleine zarte Frau um die achtzig, die ein wenig an einenVogel erinnerte, wenn man von den ziemlich vorstehenden Zähnen absah. Ihre Gäste empfing sie imWohnzimmer, quasi aufgebahrt in einem nagelneuen automatischen Liegestuhl, der inmitten der historischen Möbel aus dem achtzehnten Jahrhundert absurd wuchtig und unpassend wirkte.
Als ihr die weiße Schachtel mit dem roten Band überreicht wurde, setzte sie den Stuhl in Bewegung, der gewichtig surrte undTante Charlottes Kopf einige Zentimeter nach oben beförderte. Dann beäugte die alte Dame den Kuchen mit begehrlichem Blick, wobei sie ihre Schneidezähne in einem Lächeln entblößte. »Soso.Weißt du, Leanne, ich glaube, ich sollte jetzt mal ein Stückchen Kuchen zu mir nehmen«, sagte sie dann, als sei die Kuchenschachtel eine Pillenpackung. Sie reichte die Schachtel Henrys Mutter. »Ich könnte wirklich ein Stück Kuchen gebrauchen.«
»Wird dich wieder zu Kräften bringen«, sagte Leanne und steuerte, in sich hineinlächelnd, Richtung Küche.
»Operation«, sagte die alte Dame zu ihren Gästen und wies auf ein schmales hartes Sofa und zwei Holzsessel ihr gegenüber.
»Oh«, sagte Annie, »ich hoffe …«
»Geglückt«, fielTante Charlotte ihr insWort.
Danach trat Schweigen ein.
»Die sind wunderschön«, sagte Betty schließlich und strich mit der Hand über die Sessellehne.
»Wollen Sie die? Leanne!«, schrie die alte Dame und wedelte mit ihrem mageren Arm. »Leanne!«
Leanne erschien, gefolgt von Hilda, der alten Haushälterin, die ihnen die Haustür geöffnet hatte und nun einTablett in den Händen trug. Miranda hatte den Eindruck, als habe Leanne ihrerTante einen ironischen Salut entboten, aber vielleicht hatte sie sich nur die Haare aus der Stirn gestrichen. Leannes Haare hatten keinerlei Ähnlichkeit mit Henrys schwarzen schimmernden Locken, sondern waren fein und rotblond. Dennoch ähnelte Leanne Henry. Miranda lächelte, als sie Henrys Mutter beobachtete, wie sie durch den Raum ging, und über die Ähnlichkeit nachsann.Waren es die Hände? Die runden Schultern? Vielleicht. Als Leanne Mirandas Aufmerksamkeit bemerkte und mit leicht schief gelegtem Kopf und fragendem Blick lächelte, schaute Miranda rasch auf ein riesiges Gemälde von einer Art Jagdhund. Sie hatte die Antwort auf ihre Frage bereits gefunden. Das Lächeln. Der schief gelegte Kopf. Die wachen, interessierten Augen.
»Leanne«, fuhr dieTante fort, »diese reizende Person hat die Hepplewhites bewundert. Sieh zu, dass sie sich an derVersteigerung beteiligen.« Sie wandte sich erneut Betty zu. »Wenn ich nicht mehr da bin. Das ist hier alles zu haben, wissen Sie. Wird versteigert, wenn ich nicht mehr bin.« Sie wedelte mit dem Zeigefinger. »Aber noch bin ich da.«
»Zweifellos«, sagte Leanne und reichte ihrerTante einenTeller mit einem großen Stück Kuchen.
»Das Geschirr auch«, sagte die alte Dame und klopfte mit ihrer Kuchengabel auf den Dessertteller, der wirklich exquisit war, wie Betty bemerkte. Aber sie hatte schließlich ihre eigenenTeller und Stühle und brauchte nichts aus dem Haushalt dieser Frau.Wo sollte sie die Sachen auch noch unterbringen? Das Cottage war ohnehin so klein. Und selbst bei einerVersteigerung würde man für diese Dinge noch ein hübsches Sümmchen
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