Die drei Frauen von Westport
drinnen.
Henry grub die Hände in die feuchte Erde, die fruchtbar und dunkel, beinahe schwarz war. Ein rosaWurm glitt in die Rinne, die Henry angelegt hatte.
»Schau!«, sagte er.
»Wir können angeln gehen«, schlug Miranda vor.
Henry runzelte die Stirn. Miranda wusste inzwischen, dass dies einer Sturmwarnung gleichkam.
»Dann stirbt derWurm«, sagte er mit zittriger Stimme. »Dann stirbt der Fisch …«
Miranda nahm denWurm rasch hoch und legte ihn Henry auf die Handfläche. »Siehst du den braunenTeil?«, sagte sie. »Das ist Erde. DerWurm frisst die Erde, und die Erde kommt hinten wieder raus und ist dann gut für die Pflanzen.«
»Wurmkaka«, sagte Henry zufrieden.
Miranda atmete erleichtert auf. Als sie aufblickte, sah sie, wie R oberts aus dem Haus trat und den Plattenweg entlangkam. Der Anwalt trug wie immer einen dunklen Anzug, und seine Schuhe waren auf Hochglanz poliert. Er wirkte noch ernster als sonst.
» R oberts?«, sagte Miranda und richtete sich auf. »Alles in Ordnung?«
Er winkte Miranda flüchtig zu, wandte sich dann der alten Dame zu, sagte: »Charlotte, wir müssen reden« und setzte den R ollstuhl in Bewegung.
»Haushaltswaren, Gebrauchsgüter, Nippes …«, hörte Miranda Charlotte sagen, während sie ins Haus gefahren wurde. »O ja, alles muss weg!«
Später fragte Miranda Leanne, ob etwas nicht stimmte. » R oberts sah ziemlich gestresst aus.«
Leanne schürzte nachdenklich die Lippen, dann schüttelte sie den Kopf und sagte: »Nur wirres Gerede von meinerTante. Du weißt ja, wie sie ist.«
Frederick stand ganz oben auf der Düne, die nackten Füße im kalten Sand. Er dachte an den Abend, an dem er in der Furrier Library in Manhattan gelesen hatte. Er sah AnnieWeissmann vor sich, mit leuchtenden Augen und einem kleinen stolzen Lächeln, das sie nur schwer verbergen konnte, auf ihrem angenehmen Gesicht. Cape Cod im Winter, hatte seineTochter verächtlich gesagt. Annies Schwester hatte eine freundliche, aber sonderbare Bemerkung gemacht, irgendeinen Unsinn über Gleitschirmflieger, und etwas über nackte Füße im Sand. Gwen hatte keinerleiVerständnis für Füße im Sand. Und Amber offenbar ebenso wenig. Frederick lehnte sich gegen den Wind, der vom Meer herüberwehte und so stark war, dass er beinahe sein Gewicht zu tragen vermochte. Er spürte den Wind im Gesicht, in den Haaren, auf der Kopfhaut. Seine Hände waren rot und kalt. Am liebsten wäre er für immer so stehen geblieben. Das dumpfe R umpeln derWellen, das Heulen des Winds in den Ohren, die heftigen Windböen und das Ziehen an seinen kalten Füßen im harten Sand – all das gab Frederick das Gefühl, seinem gegenwärtigen Leben entkommen und sein wahres Leben führen zu können. Er stand auf der Düne, bis es zu dämmern begann. Seine Gelenke fühlten sich steif an, aber er war erfrischt.
Auf der Heimfahrt rief ihn jemand auf dem Handy an.
»Wo warst du denn bloß?«, fragte Amber. »Ich versuche dich seit über einer Stunde zu erreichen. Ich dachte schon, du hättest einen Herzinfarkt oder so was.«
»Ich hoffe, du bist jetzt nicht enttäuscht. Ich war am Strand und hab das Handy im Auto gelassen.«
»Hör mal, wir bleiben noch länger in der Stadt. Das macht dir doch nichts aus, oder?«
Amber und Crystal waren in JosephsWohnung geblieben, als Frederick nach Cape Cod zurückkehrte. Seither waren zweiWochen vergangen. Frederick hatte den Eindruck, dass Amber für seine Schwester und seineTochter ziemlich unentbehrlich geworden war, eine Art Mädchen für alles. Sie machte Besorgungen. Sie passte auf die Zwillinge auf und ging mit ihnen ins Puppentheater und zum Kinderarzt. Felicity bat Amber oft, im Supermarkt oder beim Schlachter für sie einzukaufen. Alle drei zusammen (Crystal schien an diesen Aktivitäten eher selten teilzunehmen) gingen häufig mit den Zwillingen in den Park und machten danach an der East Side einen Einkaufsbummel. Frederick versuchte so wenig wie möglich an diese drei Frauen zu denken. Er ging jeden Morgen ein bis zwei Stunden am Strand spazieren. Dann schrieb er, ging abends wieder spazieren und trank sich anschließend in den Schlaf. Er war gern alleine und in diesem Zustand durchaus glücklich; unglücklich war er lediglich bei derVorstellung seiner nahen Zukunft.
»Papa?«, sagte Henry und deutete auf den Fernseher. Kit lehnte mit angstverzerrtem Gesicht an einer Backsteinwand, während ihm jemand eine Pistole an die Schläfe hielt. Henry begann zu weinen.
»Aber, Schatz, das ist
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