Die drei Frauen von Westport
Zufriedenheit? Das war Irrsinn. Diese heftige, schmerzhafte Freude, diese intensive Dankbarkeit, die sich anfühlte, als atme man frische, kühle Luft ein. Das sanfte Ausatmen, in dem solcher Frieden lag.
Leanne streifte ein Blatt von Mirandas Gesicht.
Frieden? Miranda biss sich auf die Lippe.Wenn Frieden brennt, dann ist es Frieden, dachte sie.Wenn Frieden einen erzittern lässt, dann ist es Frieden.Wenn Frieden bedeutet, im einen Moment ruhig und im nächsten gepeinigt zu sein, wenn Frieden inneren Krieg bedeutet – dann, und nur dann ist es Frieden, was ich empfinde.
Sie starrte auf die Blätter, auf denen das Sonnenlicht spielte.Warum konnte sie nicht ganz normal eine Freundin haben wie andere Menschen auch? Vielleicht hatte Annie wirklich R echt – sie war eine Drama-Diva, konnte ohne Dramen offenbar nicht leben.
»Randa!«
Miranda drehte sich auf die Seite und sah Leanne an.Was für ein Chaos. »Ja?«
Leanne drehte einen Ast in den Händen, als wolle sie ein Feuer machen. »Ach, nichts«, sagte sie.
Miranda rollte sich wieder auf den R ücken. Leanne hatte sie Randa genannt.
Plötzlich erschien ein kleines schmutzverschmiertes Gesicht dicht vor Mirandas Augen. »Hast du jetzt Boden unter Füßen loren?«, wollte es wissen.
Als Miranda an diesem Nachmittag ins Cottage zurückkam, fand sie ihre Mutter schmerzgepeinigt auf der Couch vor.
»Ich kann meinen Hals nicht bewegen«, flüsterte Betty. »Mein Kopf explodiert. Immer wieder.«
Die Sanitäter waren ehrenamtliche Helfer. Miranda erkannte ein blondes Mädchen wieder, das sie manchmal am Strand laufen sah. Sie folgte dem Krankenwagen in Bettys Mercedes, konnte sich aber später nicht mehr daran erinnern.
»Es ist Meningitis«, teilte sie Annie amTelefon mit.
» Was ?«
»Nein, es ist nicht die schlimme Sorte, an der man stirbt.«
»Nur die Sorte, die einem das Gefühl gibt, dass man gerne sterben würde«, flüsterte Betty von ihrem Krankenhausbett. »Bitte hör auf zu reden, Schatz.«
Aber Betty wollte ganz und gar nicht sterben. Sie wünschte sich, die Zeit zurückdrehen zu können – nicht bis in ihre Jugend oder zu ihrer glücklichen Zeit mit Joseph. Sondern nur bis zu diesem Nachmittag, zu dem Moment, bevor sie zu ihrem Strandspaziergang aufbrach. Als sie aus dem Küchenfenster schaute und den Goldzeisig durch die Äste des Ahorns flattern sah. Sie war so ungerecht gewesen. Sie wünschte sich, wieder aus ihrem Küchenfenster schauen und den kleinen Vogel beobachten zu können, diesen schwarzgelben Blitz, der zwischen den Blättern umherflog, und sie wollte sich entschuldigen. Bei dem Vogel. Er war ein schöner Vogel an einem schönen Tag gewesen, und sie hätte an beidem nicht zweifeln sollen.
»Ich werde keinen einzigenTag meines Lebens mehr für eine Selbstverständlichkeit halten«, sagte Betty am nächstenTag zu Annie, als die Antibiotika zu wirken begannen und der Schmerz nachließ. »Und du solltest das auch nicht tun.«
»Hast du plötzlich Gott gesehen?«, fragte Annie.
»Du liebe Güte, nein. Wieso, du?«
Als Annie Josie anrief, um ihn über Bettys Krankheit zu informieren, musste sie gegen den Impuls ankämpfen, Josie die Schuld daran zu geben. Es war ungehörig, die Schmerzen ihrer Mutter auszuspielen, um jemanden zu beschämen – selbst wenn dieser Jemand es verdient hatte. Und dennoch, als sie zu Josie sagte: »Mom liegt mit einer Meningitis im Krankenhaus«, empfand sie unleugbar einen Anflug von Genugtuung.
19
Betty wurde nach sechsTagen entlassen, aber sie war noch sehr geschwächt. Nach einigenTagen im Cottage war sie noch schwächer, und Annie und Miranda stützten sie auf beiden Seiten und brachten sie zum Arzt.
»So ein Theater«, sagte Betty. »Dabei brauche ich bloß R uhe.«
Doch der Arzt sagte, sie habe sich im Krankenhaus eine Staphylokokkeninfektion zugezogen, und verschrieb ihr hohe Dosen diverser Antibiotika.
Dennoch wollte Betty jeden Morgen aufstehen, und ihre Töchter führten sie bei schlechtemWetter zur Couch imWohnzimmer und bei gutem zum Liegestuhl auf derVeranda. In beiden Fällen trug Betty ihre Sonnenbrille, da sie gegen die Kopfschmerzen half.
»Du siehst ausgesprochen glamourös aus«, sagte Cousin Lou, als er sie besuchen kam.
»Ich bin ja auch in meinem Privatsanatorium.« Bettys Beine waren in eine Decke gehüllt, und sie hielt einen Becher Brühe in der Hand.
Lou sah in der Ecke einen Besen stehen, holte ihn sich und begann geistesabwesend den Boden zu kehren.
»Wie geht’s
Weitere Kostenlose Bücher