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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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Mr. Shpuntov?«, erkundigte sich Betty.
    »Er hat gestern seine Pflegerin gehauen.«
    »Au weh.«
    »Sie hat aber zurückgehauen, das war also nicht weiter schlimm.« Cousin Lou blieb stehen und betrachtete Betty. Sie war bleich und mager – ihre Handgelenke sahen aus wie geäderte Sehnen. »Wie geht es dir?«, fragte Lou, plötzlich ernst.
    »Ich haue keine Pflegerinnen. Und die Pfleger auch nicht«, antwortete Betty.
    Annie trat mit Bettys Medikamenten zu ihnen.
    »Oder, Annie?«
    »So gut wie nie.«
    »Setz dich, Lou«, sagte Betty. »Es ist sehr angenehm, einfach nur zu sitzen. Ich hatte keine Ahnung, dass es mir so gut gefallen würde, Patient zu sein. Ich kann das nur empfehlen. Ich glaube, ich habe die ideale Berufslaufbahn für mich gefunden. Außerdem bin ich ja auch noch Witwe. Das will ich keinesfalls aufgeben.«
    »Multitasking«, bemerkte Annie. Sie machte sich Sorgen. Betty schien es wirklich zu genießen, nur auf dem Sofa zu liegen und Himmel und Bäume zu betrachten. Sie wirkte verträumt und versonnen und sehr weit weg.
    »Es gibt hier einen Goldzeisig«, sagte Betty zu Cousin Lou, als sei das die Erklärung für alles. »Wenn ich sehr still und geduldig bin, sehe ich einen Goldzeisig.«
    R oberts kam an diesem Abend vorbei und brachte Betty einen Strauß Narzissen.
    »Die ist für Sie«, sagte er und reichte Annie eine von den Narzissen.
    Er besuchte sie jetzt fast jedenTag. Der arme Mann, dachte Annie. Miranda war so gut wie nie da, aber R oberts saß geduldig bei Betty, unterhielt sie mit Geschichten von seinen geldgierigsten Mandanten und deren unredlichen Machenschaften und blieb häufig noch zum Abendessen.
    »Fehlt Ihnen die Arbeit? Macht es Ihnen was aus, im R uhestand zu sein?«, fragte Betty. »Wir können nämlich noch so ein Sofa anschaffen, und dann können Sie mir in meinem Sanatorium Gesellschaft leisten. Dann hab ich zu tun.«
    »Na ja, so ganz ausgestiegen bin ich noch nicht. Ein paar Mandanten habe ich schon noch.«
    »Charlotte Maybank zum Beispiel, nicht wahr? Sie scheint sich ja viele Gedanken über ihren Nachlass zu machen.«
    Betty erwartete, dass R oberts nun lächeln würde, wie er es häufig tat, wenn er ihr die Anekdoten von den Launen und Grillen seiner Mandanten und absurde Fälle aus seinem Berufsleben schilderte. Doch jetzt presste er die Lippen zusammen und blieb stumm. »Verzeihung, geht mich ja nichts an«, sagte Betty.
    Wenn Annie von der Arbeit nach Hause kam, saßen R oberts und Betty oft im fahlen Licht der Dämmerung still nebeneinander. Wie winzig und zerbrechlich ihre Mutter in ihren zarten schwarzen Kleidern neben R oberts wirkte, dem sonnverbrannten, großen schlanken Mann im Anzug.
    Er lächelte, wenn er Annie erblickte. Stand auf und küsste Annie auf dieWange. Sie machte ihm dann ein Kompliment über seine Fliege. Dann tranken sie Cocktails.
    »Holt Miranda Sie nicht vom Zug ab?«, fragte er an dem ersten Abend, an dem Annie alleine eintraf.
    Armer R oberts, dachte sie. »Nein, keine Miranda. Nur wir zwei Hennen heute Abend, fürchte ich.«
    »Ah.« Er nahm seinen Martini in Empfang. »Sind Sie vom Bahnhof nach Hause gelaufen? Ich könnte Sie jederzeit abholen, Annie, wenn Miranda verhindert ist.«
    Annie lächelte. Der formvollendete R oberts. Sehr traditionell. Wie ich, dachte sie. »Ich habe Miranda bei Leanne abgesetzt, nachdem sie mich abgeholt hat. Aber das ist sehr aufmerksam von Ihnen.«
    Er nickte. »Miranda ist ein Segen für Leanne. Charlotte ist sehr gebrechlich. Aber …« Er unterbrach sich und sagte dann: »Nun ja, sie hat viel durchgemacht.«
    Da Miranda erst viel später nach Hause kommen würde, fragte Annie R oberts nicht, ob er zum Essen bleiben wolle. Er blieb dennoch.
    Einsam, dachte sie. Nicht wie ich.Was war das Gegenteil von einsam? DasWort, um einen Menschen zu beschreiben, der die Gegenwart anderer nicht ertragen konnte? Vielsam? Doch Annie merkte, dass R oberts zu den wenigen Menschen gehörte, vor denen sie nicht davonlaufen wollte.Vor R oberts wollte sie nicht auf den Dachboden flüchten. Es war sogar eher so, dass er sie an einen Dachboden erinnerte: stille Luft, gedämpftes Licht, und die Gegenstände dort lösten Erinnerungen, angeregte Gedanken oder angenehmes Staunen aus.
    Felicity beschloss, die Mädchen – womit sie Gwen, Amber und Crystal meinte – zum Lunch ins Café des Artistes auszuführen. Amber war so eine … Felicity lächelte … beinahe hätte sie dasWort »Perle« benutzt, als sei Amber ein treues,

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