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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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sie es noch bis dorthin schaffen würde. Ein Schritt. Zwei. Sie zählte. Zehn. Da waren die rissigen Betonstufen. Der Schmerz in ihrem Kopf schoss himmelwärts, explodierte und kehrte verheerend schnell wieder zurück und begann das Spiel von Neuem, wie die kleinenWellen. Schritt. Schritt. Dreizehn, ihre Glückszahl, denn nun hatte sie die Couch im Haus erreicht. Die Couch war unter ihr. Der Schmerz in ihrem Kopf schrie und kreischte. Und niemand war da, der ihn hören konnte. Niemand außer mir, dachte Betty.
    Miranda war es, die Betty fand und den Krankenwagen rief. Leanne und sie waren nicht segeln gewesen an diesemTag. Zunächst hatten sie Kit über Skype angerufen und zugeschaut, wie Henry mit seinemVater sprach. Miranda war zuvor ein wenig besorgt gewesen, wie sie es wohl verkraften würde, Kit wiederzusehen – wenn auch nur bei einem Videotelefonat auf einem Computerbildschirm. Als Leanne Kit mitteilte, dass Miranda auch im Zimmer war, sah er etwas bestürzt aus, fing sich aber gleich wieder und sagte in seiner üblichen munteren Art: »EineVerschwörung. Glaub nicht alles, was du hörst.«
    Das werd ich bestimmt nicht tun, dachte Miranda, sagte jedoch nichts, sondern blieb außerhalb des Blickwinkels der Kamera stehen und schaute zu.
    Sie fand, dass Kit so gut wie immer aussah, obwohl seine lässige Art ihr jetzt wie ein Betrug erschien – es kam ihr nun vor, als sei Henry sein Neffe oder sein jüngerer Bruder, ein Kind, das er mochte, für das er jedoch wenig oder gar keineVerantwortung übernahm.
    »Ich hab Angst gehabt«, sagte Henry wegen des blutverschmierten Kit mit der Pistole am Kopf.
    »Das war nur Ketchup«, erwiderte Kit. »Ist das nicht lustig? Dass Papas ganzes Gesicht mit Ketchup verschmiert war?«
    Henry fand es lustig. Dann sagte er: »Komm zu uns.«
    »Okay, mein Freund«, sagte Kit. »Mach ich! Sobald es geht.«
    Leanne, die hinter Henry stand, warf Miranda einen bedeutsamen Blick zu.
    »Das hab ich gesehen«, sagte Kit. »Hör zu, ich arbeite , ja? Damit hast du mir doch ständig in den Ohren gelegen, und jetzt arbeite ich wirklich.«
    »Schon gut«, erwiderte Leanne. »Stimmt. Entschuldige.«
    Kit schmollte einen Moment lang. Ist er wirklich fünfunddreißig?, fragte sich Miranda. Sie sah Leanne an. Und wie alt war Leanne eigentlich? Sie hatte Leanne noch nie gefragt, war gar nicht auf die Idee gekommen.
    »Und jetzt muss ich zur Arbeit, okay? Ich brauche eine Stunde bis zum Studio …«
    Henry warf seinemVater einen Kuss zu, und der Bildschirm wurde schwarz.
    »Wie alt bist du?«, fragte Miranda unvermittelt.
    »Achtunddreißig«, antwortete Leanne. »Warum?«
    »Acht«, sagte Henry und hielt alle Finger hoch.
    »Ich bin neunundvierzig«, sagte Miranda.
    Leanne legte nachdenklich den Kopf schief und sagte: »Okay.«
    Dann hob sie Henry hoch, wirbelte ihn herum und sagte, sie würden jetzt eine Abenteuerradtour zum Devil’s Den machen.
    Sie radelten die kurvigen, hügeligen Straßen zu dem Naturschutzgebiet inWeston entlang. Henry saß im Kindersitz hinter Leanne. Als es bergab ging, überholte Miranda die beiden, stellte sich wie früher als Kind in die Pedale und sauste den Abhang hinunter. Geschwindigkeit, dachte sie, verschafft einem das triumphale Gefühl, Fortschritte zu machen.
    »Der Bankrott scheint dir gut zu bekommen«, sagte Leanne lachend, als sie unten ankam.
    Die Unterlagen vom Anwalt waren amVortag eingetroffen. »Den Boden unter den Füßen verlieren«, erwiderte Miranda. »Meine Spezialität.«
    Henry sah sie fragend an.
    »Jetzt bin ich frei«, fügte Miranda hinzu.
    Sie wanderten einen Pfad entlang und landeten an einem schattigen Platz, an dem schlanke Birken aufragten. Miranda legte die Hand auf den Stamm einer Birke. »Der schönste Baum von allen.« Sie war ergriffen, was ihr zurzeit oft passierte. Vielleicht kam sie in dieWechseljahre.
    »Ich frage mich, ob ich vielleicht schon in der Menopause bin. Ich könnte ständig …«
    »Was?«, fragte Leanne.
    Miranda warf sich zu Boden und wälzte sich in den Blättern, atmete den feuchten Duft des Frühlings, den staubigen Geruch des vergangenen Herbstes ein. Dann blieb sie liegen und starrte in das Blätterdach, über dem sich der blaue Himmel abzeichnete.
    »Ich könnte ständig heulen vor Glück«, sagte sie.
    Aber ob das wirklich mit der Menopause zu tun hat, dachte sie. Da schwitzte man und ging in einigen Jahren als irgendwie ruhigerer Mensch mit brüchigen Knochen daraus hervor. Aber diese tiefe stille

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