Die drei Frauen von Westport
mit jemandem anzulegen, der so nett war, seine Einladungen anzunehmen. Er fasste Miranda und Annie am Arm, jede auf einer Seite, und geleitete die beiden in den großenWohnraum mit Panoramablick aufsWasser. Das Haus befand sich auf einer Anhöhe, so dass lediglich die vielen Gestalten, die gegenwärtig vor den großen Glasfenstern standen, die Aussicht behinderten. Es handelte sich dabei um einen Künstler und einen Pianisten, einen Holocaust-Experten, einen Psychiater, einen jungen Internet-Mogul, diverseWall-Street-Broker, zwei Chirurgen, einen Architekten und einen Anwalt – samt und sonders mit Ehefrauen, die ebenfalls eigene Karrieren vorzuweisen hatten. Lou stellte alle Gäste mitVornamen vor, als seien sie Schoßhündchen, und tätschelte dem einen oder anderen auch wahrhaftig den Kopf. Erst als er Annie und Miranda zu einer inWeiß gekleideten Dame führte, die auf der Armlehne einer Couch hockte und ihnen als Lous Gattin vorgestellt wurde, erfuhren sie in allen Einzelheiten die Nachnamen und Berufe der Gäste, mit denen Lou sie bekanntgemacht hatte. Annie hatte beinahe damit gerechnet, dass Lou auch bei seiner Frau sagen würde, sie gehöre zur »Familie«. Doch er hastete rasch davon und überließ sie R osalyn, die mit ihrem auffallend großen Kopf auf sämtliche Anwesenden wies und mit raunender Stimme deren Beruf bekannt gab.
»Das scheinen ja alles sehr bedeutende Persönlichkeiten zu sein«, sagte Annie, weil sie spürte, dass R osalyn eine derartige Bemerkung erwartete.
»Ich fühle mich zu außergewöhnlichen Menschen hingezogen«, erwiderte R osalyn. »Das ist gewissermaßen mein Laster.« Dann lächelte sie über die Absurdität, dass jemand wie sie sich etwas so Geschmackloses wie ein Laster zulegte.
»Sie gehören quasi zur Familie«, warf Miranda ein.
R osalyn zog eine Augenbraue hoch. »Seine Familie kann man sich nicht aussuchen, oder?«
»Nein«, sagte Annie trocken, wobei ihr auffiel, dass R osalyn, nachdem sie sich erhoben hatte, kaum größer als im Sitzen war. Annie lächelte R osalyn an. »Familie ist Schicksal.«
R osalyns großer Kopf saß auf einem vergleichsweise kleinen dünnen Körper, etwa wie eine üppige R ose auf einem blattlosen Stängel. DasVolumen des Kopfes wurde durch R osalyns Haare, die blond gefärbt und zu einem ausladenden Helm arrangiert waren, noch verstärkt. Annie sah zu, wie sich dieser Haarhelm, einem goldenen Globus gleich, zu ihrer Mutter drehte, die gerade in ihrem elegant geschneiderten Leinenanzug auf sie zukam.
»Trauerkleidung«, erklärte Betty mit traurigem Lächeln, als R osalyn ihr Outfit bewunderte.
5
Miranda konnte nicht umhin, Frederick Barrow als sympathisch aussehenden Mann zu beschreiben – womit er für sie von vornherein nicht infrage kam. Er hatte ein koboldartiges freundliches Gesicht und schüttere Haare, keine vornehmen Geheimratsecken wie Josie, sondern einfach dünne Haare, die er nach hinten kämmte und die im Nacken etwas zu lang waren. Miranda bedauerte ihn und Annie gleich noch dazu. Doch sie war loyal genug, ihre Mutter darauf hinzuweisen, dass seine Haare wenigstens silberfarben waren. Und dass er seelenvolle Augen hatte. Diese Augen waren zwar so dunkel und ernsthaft, dass sie Miranda an einen alten Hund erinnerten, aber das behielt sie für sich. Stattdessen rief sie sich in Erinnerung, dass sie Hunde liebte und oft erwogen hatte, einen aus dem Tierheim zu adoptieren. Eine Schäferhundmischung. Oder einen missverstandenen Pitbull. Nach diesem Gedanken spürte Miranda in sich eineWelle der Zuneigung für Frederick Barrow, als hätte er selbst gerade einen ausgesetzten Hund gerettet oder – was noch bewegender war – schlüge winselnd mit dem Schwanz an die Gitterstäbe seines Käfigs und lege herzerweichend den Kopf schief, damit Miranda ihn aus seinem Gefängnis befreite.
InWahrheit stand Frederick Barrow allerdings gerade vor ihnen auf einem Podium und las in einem Singsangtonfall, der Miranda schläfrig machte, aus seinem Buch vor.
»Er hat seelenvolle Augen«, flüsterte sie ihrer Mutter zu.
Betty fand seine Augen eigentlich eher schelmisch, raunte jedoch zurück: »EinTriumph für Annie.«
Miranda fragte sich, ob Betty damit die Zuhörer meinte, die sehr zahlreich erschienen waren, oder Annies Freundschaft mit Barrow.
»Da kann sie stolz drauf sein«, flüsterte sie, um das letzteWort zu haben.
Ein ernsthafter, magerer junger Mann, der einen handgestrickten Schal trug, drehte sich um und funkelte sie
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