Die drei Frauen von Westport
die Haustür aufflog und ein kahlköpfiger, rosagesichtiger Mann in Erscheinung trat, der leuchtend bunte Golferkleidung trug und einen Besen in der Hand hielt.
Cousin Lou überreichte Annie den Besen, entschuldigte sich für die fehlenden Lamellen in den Fenstern, verhieß Handwerker und R eparaturen. Dann lud er sie bei sich zum Abendessen ein. »Und kommt bitte auch, enttäuscht mich nicht«, fügte er hinzu, wobei seine dicken rosaWangen beunruhigt zitterten. »Enttäuscht mich nicht.«
Er wies auf den Briefkasten.
»Ich habe ihn eigens für euch anbringen lassen, aber schaut nur, was diese Idioten aus eurem Namen gemacht haben!«
Auf dem wuchtigen nagelneuen glänzenden Briefkasten stand in großen schwarzen Lettern: THE WISEMEN.
Des nachdrücklichen Zitterns von Cousin LousWangen zumTrotz, nahmen die drei die Essenseinladung an diesem Abend nicht wahr, sondern warteten auf den Umzugswagen und fingen dann an, die Kartons auszupacken. Annie und Miranda bezogen die beiden Schlafzimmer im Erdgeschoss, ihre Mutter das große Dachzimmer im ersten Stock.
»Die Möbel aus meiner Kindheit«, sagte Annie, als sie sich auf das alte Mahagonibett mit Kopf- und Fußteil setzte, das Betty bei einer Auktion ersteigert hatte, als Annie zwölf war. »Viel schöner als meine eigenen.« Im Lauf der Jahre hatte Annie sich allerdings auch ein paar Möbelstücke angeschafft, an denen sie hing, und sie fragte sich jetzt, ob der Professor aus Frankreich und dessen Frau, denen sie dieWohnung vermietet hatte, wohl Zigarettenbrandlöcher auf den Sessellehnen hinterlassen würden. Sie konnte es jetzt schon kaum erwarten, in ihre eigenen Räume zurückzukommen.
Miranda dagegen war quietschvergnügt. »Ich komme mir vor wie in einem Puppenhaus«, sagte sie. »Und wir sind die Puppen.«
Annie schauderte.
»Ein echtes Abenteuer«, bemerkte Miranda.
»Eher einTraining gegen Klaustrophobie.«
»Du wirst schon sehen.«
Das sagte Miranda häufig, und Annie fand die Bemerkung sonderbar tröstlich, als könnte Miranda tatsächlich in die Zukunft blicken, als wüsste sie, dass alles gut würde, und als wüsste sie obendrein auch noch, wie man das bewerkstelligen konnte.
»Kommt dir Mom irgendwie verstört vor?«, fragte Annie.
»Wir sind unsere eigenen Puppen«, antwortete Miranda, als hätte sie Annie gar nicht gehört. »In unserem eigenen Puppenhaus.«
Im ersten Stock starrte Betty aus dem Fenster des Dachzimmers. Sie hörte Annie und Miranda unten sprechen – ein leises, fernes Murmeln, aber so vertraut wie eine Erinnerung. So vieles kam ihr dieserTage wie eine Erinnerung vor. Dieser tiefblaue Himmel mit den weißenWolkengebilden war eine Erinnerung. Und diese Stadt: Als Betty am Bahnhof auf Josephs Zug wartete, lehnte sie an dem alten schwarzen Buick, und die Mädchen schwatzten, wie sie es jetzt gerade taten, unter demselben hohen Sommerhimmel; dann kam der Zug angekeucht und stieß beim Anhalten diesen gewaltigen Seufzer aus. Und ihm entstieg eine weitere Erinnerung: ihr Mann. Joseph, ihr Ehemann.
»Kannst du dasWasser sehen?«, fragte Annie, als sie hereinkam.
»Es sieht wunderbar aus.«
»O schau, ein Segelboot.«
»Das wird mein Ausguck hier«, sagte Betty. »Der Platz, von dem früher die Frauen der Seeleute aufs Meer gestarrt haben, obwohl sie womöglich schon Witwen waren.«
Wenn ihre Mutter hier glücklich sein würde, dachte sich Annie, wäre es den ganzen Aufwand wert. Bettys Haare, die in einem sehr schönen Kastanienbraun schimmerten – kreiert für viel Geld von einer italienischen Farbkünstlerin beim Starfriseur Frederic Fekkai –, waren von einem Lichtschein umgeben. Annie schlang die Arme um ihre Mutter und legte ihreWange an das schimmernde Haar. »Sei nicht traurig«, sagte sie.
»Nein, nein.« Betty tätschelte ihrerTochter beruhigend die Hand. »Ich bin eine lustige Witwe.«
Und zu Annies und Mirandas Erstaunen machte Betty ihreWorte wahr. Sie war in den folgendenTagen nicht nur heiter und lustig, sondern bestand auch darauf, eine wahrhaftige Witwe zu sein.
»Der arme, gute Joseph«, sagte sie, als sie dann tatsächlich Cousin Lous Einladung zum Abendessen annahmen. »Möge er in Frieden ruhen.«
Lou zog eine Augenbraue hoch und blickte Annie fragend an. Die zuckte nur die Achseln und sagte: »Mom ist Witwe.Wusstest du das nicht?«
»Sei nicht frech«, erwiderte Betty, in schwarzer Leinenhose mit schwarzerTunika, und marschierte ihnen voraus insWohnzimmer.
Cousin Lou dachte nicht daran, sich
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