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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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jetzt dieser erstaunlich attraktiven Frau gegenüberstand, die schwungvoll aus der Tür getreten war und ihm einen langen selbstbewussten und prüfenden Blick zuwarf, war er einen Moment lang so stumm wie R oberts. Dann wanderte ihr Blick zu Henry, seinem kleinen Sohn. Etwas schien sie merkwürdig zu berühren, denn sie strich sich mit der Hand übers Gesicht, als wolle sie R egentropfen abwischen.
    »Das ist Henry«, sagte Kit. »Mein Sohn.«
    Der Kleine nahm die Faust wieder aus dem Mund und sagte mit nuscheliger Kinderstimme: »Henry.«
    »Henry, das ist …« Der Name war Kit entfallen, doch dann erinnerte er sich wieder, wenn auch etwas zu spät. »Miranda.«
    Miranda gab ein amüsiertes Lachen von sich und betrachtete die beiden. »Hallo, Henry«, sagte sie dann und stieg die rissige Betontreppe herunter.
    »Henry«, sagte der kleine Junge wieder und warf seinemVater einen raschen Blick zu, als wolle er sich dieserTatsache vergewissern.
    »Eine Miniausgabe«, sagte Miranda. Henry trug exakt dieselben Kleidungsstücke wie sein Vater, in winziger Ausführung: Miniatur-Khakihosen, Segelschuhe, die auch einer Puppe gepasst hätten, einen bunt karierten Stoffgürtel, nicht länger als ein Hundehalsband, und ein rosa Oxford-Hemd von der Größe einer Briefmarke.
    Kit überreichte Miranda den riesigen Blumenstrauß, den er auf der Wiese hinter dem Haus seinerTante gepflückt hatte.
    »Sie sind aber furchtbar trocken heute«, sagte er.
    »Ich versuche nach Möglichkeit, nur einmal proWoche zu ertrinken.«
    Miranda bat die beiden ins Haus. Sie arrangierte die Blumen in einerVase und stellte sie in den Wintergarten. »Ich liebe Wiesenblumen«, sagte sie. »Aber eigentlich sollte ich Ihnen Blumen bringen. Und Opfergaben.« Sie stützte die Hände in die Hüften, starrte den kleinen Jungen an, der mit einem Arm dieWade seinesVaters umschlungen hielt, und tappte nachdenklich mit dem Fuß. »Kekse«, sagte sie dann und verschwand in Richtung Küche.
    Kit bemühte sich zu übersehen wie geschmeidig und erotisch sie sich bewegte. Als sie zurückkam, hielt sie in einer Hand einenTeller mit Keksen, in der anderen die Sachen, die Kit ihr amVortag geborgt hatte.
    »Das ist vorerst der einzigeTribut, den ich zahlen kann«, sagte sie.
    Sie ließen sich in den Korbsesseln im Wintergarten nieder und sahen zu, wie Henry die Kekse verputzte.
    »Er ist zwei«, sagte Kit. »Seine Mutter …«
    Miranda horchte auf. Seine Mutter war … in der Psychiatrie?Tot? Sie ahnte, dass eine Offenbarung bevorstand, eine Geschichte von überwundenem Leid …
    »Seine Mutter ist für zwei Monate auf einer Forschungsreise in Afrika. Es wäre zu gefährlich gewesen, ihn mitzunehmen. Sie ist Epidemiologin.«
    Der Kleine ließ sich auf den Boden plumpsen, sprang dann wieder auf und wirbelte mit ausgestreckten Armen und gespreizten Fingern im Kreis herum.
    »Wir sind geschieden«, fügte Kit hinzu.
    Er schien rot anzulaufen. Oder wurde sie selbst rot?
    »Und so hab ich ihn mal ein bisschen für mich alleine, nicht wahr, mein Kleiner?«, fuhr Kit rasch fort. »Mit ein bisschen Unterstützung vonTante Charlotte und ihrer eisernen Haushälterin Hilda. Die auch Mrs. Danvers heißen könnte.Was sagt Hilda immer, Henry?«
    »Nein, nein, nein«, rief der Kleine und wedelte mit dem Zeigefinger.
    Er rannte einmal quer durchs Zimmer und blieb schließlich vor Miranda stehen. Dann kletterte er auf ihren Schoß und hielt ihr den nassen, krümeligen R est eines Kekses an den Mund.
    Der Keks fühlte sich an wie feuchter, süßer Sand. Ein Haferflockenkeks. Als Kinder hatten die Schwestern diese Kekse aus irgendeinem Grund, an den Miranda sich nicht erinnern konnte, »Josie-Kekse« genannt. Sie blickte in die großen blassgrauen Augen des kleinen Jungen. Sein Mund war mit Kekskrümeln verkrustet. Seine Fingernägel, die sich in den Keks gruben, waren kaum größer als Maiskörner. Miranda knabberte an dem Keks. Der Kleine strahlte, und sie musste ihn unwillkürlich an sich drücken.
    »Danke schön«, sagte sie leise. »Danke, kleiner Henry.«
    Als Kit Henry später in seinen Autositz schnallte, spürte er Miranda hinter sich. Er drehte sich um und blickte in diese außergewöhnlichen Augen, die ihn durchdringend ansahen.
    »Ich stehe in Ihrer Schuld«, sagte Miranda.
    Kit schüttelte den Kopf, ohne den Blick abzuwenden. Sie nahm seine Hand. Er hörte, wie er scharf die Luft einsog, und fragte sich, ob sie es auch gehört hatte. Diese Frau war auf jeden Fall zu alt für

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